186. Die Holzweibel ziehen fort. E-Mail

(Edw. Heger in der Erzgebirgszeitung, 6. Jahrg., S. 60.)


Als die Holzweibel von den Menschen nicht mehr gastlich aufgenommen wurden, nahmen sie immer heimlich etwas weg: hier ein paar Klöße aus dem Topfe, dort ein frisch gebackenes Brot, und das war ihnen ein Leichtes, denn sie konnten sich unsichtbar machen. Doch man merkte endlich den Diebstahl und nun zählte die geizige Hausfrau allemal ihre Klöße und Brote, und die Weibel konnten dann nichts davon wegnehmen. Das war schlimm für die kleinen Leute, und sie beschlossen, die ungastlichen Stätten der Menschen zu verlassen und weit fortzuziehen.

Auf der Sosauer Flur wollte die Auswandererschar den rauschenden Egerfluß übersetzen, und ihr König rief dem Fährmann zu: „He Ferge, du sollst Deinen Lohn im voraus wählen: Entweder einen roten Kreuzer für jede Person oder Deinen Hut voll Goldstücke ein für allemal!“ Da sich die Weibel unsichtbar gemacht hatten, so kannte der Fährmann ihre Zahl nicht, und er dachte: Du nimmst das Gewisse! Er entschied sich daher für das Gold. Aber der Zug Leutchen wollte schier kein Ende nehmen, und Nacht und Tag ohne Unterlass musste der Mann die Fähre lenken. Endlich sagte der König: „Ferge, du bist jetzt zu Ende, willst du aber einmal sehen, was Du mit Deiner Arbeit geleistet hast?“ Als dies der Fährmann bejahte, winkte der König und alsbald wurden die Weibel sichtbar, die alle kleine Sturmhütlein trugen. Da erstaunte der Fährmann über die Menge der kleinen Gestalten, die auf den angrenzenden Feldern des Dorfes Pokatitz am nordöstlichen Fuße des Kaadner Burberges aufgestellt waren, eng zusammen, so dass alles rings kohlschwarz aussah. Er merkte nun, wie töricht seine Wahl gewesen, und dass ihm der verschmähte rote Kreuzer viel mehr eingebracht hätte.



 
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