259. Die unheimlichen Gäste in Werda. E-Mail

(Köhler, Volksbrauch im Vogtlande, S. 537.)


In dem Dorfe Werda bei Falkenstein lebte ein junger Mann, der saß an einem Sonntagsabende im Winter ganz allein zu Hause und hatte ein Buch aus einem alten Schranke zur Hand genommen, um darin zu lesen. In dem Buche aber waren verschiedene Zeichen und Figuren, die er sich nicht sogleich ausdeuten konnte. Deshalb zog er die Lampe näher an sich heran, um besser sehen zu können. Als er nun so eine Weile im Lesen und Ausdeuten vertieft ist, blickt er zufällig in die Höhe, fährt aber wieder erschrocken zurück, denn zu dem kleinen Schiebefenster herein sieht ein rabenschwarzer Mann mit grinsendem

Gesichte. Der Bursche fragt nach dem Begehr, erhält aber keine Antwort. Nachdem er sich vom Schreck etwas erholt hatte, las er ruhig weiter und war bemüht, die Figuren ordentlich zu deuten. Er sah sich wieder um und wurde zu seinem Schrecken gewahr, dass zu jedem Fenster ein schwarzer unheimlicher Gast hereinsah. Dabei war er auf seinem Sitze wie festgebannt und konnte fast kein Glied mehr regen. Jetzt wollte er das Buch zumachen, denn es flimmerte und tanzte ihm alles vor den Augen. Aber wie von einer unsichtbaren Macht gefesselt, konnte er seinen Blick nicht von dem Buche abwenden und er fing wieder an zu lesen. Plötzlich aber entstand im Hause ein groß Getöse und Gepolter, die Türe flog auf und ein langer schwarzer Mann kam herein und blieb in der Mitte der Stube stehen. Der Lesende fragte zum zweiten Male, was sein Begehr sei, erhielt aber wieder keine Antwort. Dabei musste er in dem Buche immer weiter lesen, und es dauerte gar nicht lange, so ging das Gepolter von neuem los und eine zweite schwarze Gestalt trat in die Stube und stellte sich neben die erste hin. Ohne von seinem Buche aufzusehen, las der Bursche fort. Jetzt aber tat es einen Schlag, dass das ganze Haus in seinen Grundfesten erschüttert wurde, Fenster und Türen sprangen auf, ein blitzähnlicher Schein fuhr durch die Stube und eine dritte Gestalt, länger als die beiden ersten und wild von Aussehen, trat nun in Begleitung von allerhand Tieren, als Raben, Eulen und Elstern, in die Stube und stellte sich nun zwischen die beiden ersten hinein. Jetzt wurde es unserm Geisterbeschwörer himmelangst und er rief aus vollem Halse nach Hülfe. Es dauerte aber lange, ehe die gewünschte Hülfe kam. Endlich kam der Bruder des Burschen mit noch einigen Nachbarssöhnen nach Hause, und diese sahen nun, was vorgefallen war. Der Sohn des Wirtes, der auch mit hinzugekommen war, lief sogleich zum Pastor, welcher auch erschien, aber dessen Kraft zu schwach war, die Geister wieder zu bannen. Er gab den guten Rat, es solle doch gleich einer nach Theuma zum Pater reiten, der könne Hülfe schaffen. Ohne sich lange zu besinnen, ritt der Sohn des Wirtes nach Theuma und erzählte daselbst dem Pater, was vorgefallen war. Der Pater ließ sich auch bewegen mitzukommen. Da er ankam, war bereits das halbe Dorf vor dem Hause versammelt, und sogleich begann er seine Beschwörungen. Es dauerte auch nicht lange, so entfernten sich die ungebetenen Gäste, nur der letzte hielt noch stand und wollte nicht weichen. Als aber der Theumaische Pater ein großes Buch hervorzog, entfloh er unter fürchterlichem Gebraus durch den Schornstein und ließ einen Schwefelgeruch zurück. Das Buch aber, welches der Bursche gebraucht hatte, nahm

der Pater mit und ermahnte noch den jungen Mann, solche Sachen fernerhin zu lassen und nichts zu unternehmen, was er nicht verstehe.


Das Buch, in welchem der Bursche las, ist Faust´s Höllenzwang, von dem uns der Volksmund erzählt. Ähnlich wie dem jungen Manne in Werda erging es den Buben eines Wunderdoktors in Schumburg, die in Abwesenheit ihres Vaters dies geheimnisvolle Buch aus einem Schranke nahmen und darin lasen, worauf eine Menge von teuflischen Vögeln ins Zimmer kam. (Grohmann, Sagen aus Böhmen und Mähren I., S. 315.) Ein alter Mann in Eichelborn in Thüringen hatte große Kenntnisse in geheimen Künsten. Einst las er abends in einem großen Buche, während ein Knabe bei ihm in der Stube war. Da wurde er hinaus gerufen. Der Knabe las trotz des Verbotes in dem Buche, und da kamen viele Raben, welche von außen an das Fenster pochten. Aus das ängstliche Geschrei des Knaben kam der Alte zurück, gab dem Ungehorsamen eine derbe Ohrfeige und las in dem Buche schnell einige Worte, siehe, sofort verschwanden die Raben wieder. (O. Richter, Deutscher Sagenschatz, 4. Heft, No. 3.) Dieselbe Sage findet sich auch bei den Lausitzer Wenden. Als ein Bauer, welcher am Schlossberge zu Burg in der Niederlausitz wohnte und der im Besitze eines „Charakters“ war, einmal aus dem Felde arbeitete, suchte daheim sein Sohn das Zauberbuch hervor. Beim Lesen desselben kamen ebenfalls Hasen. Krähen und andere Vögel zu Tür und Fenster herein. Der Vater, von Unruhe und Angst getrieben, lies eilig nach Hause und sahe, was der Sohn angerichtet hatte. Da nahm er das Buch zur Hand und las alle Stellen, welche der Sohn gelesen hatte, rückwärts, da verschwanden die Ungetüme wieder. (Veckenstedt, Wendische Sagen, 1880, S. 273.)



 
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