345. Die Wunderblume des Grauensteins. E-Mail

(Wenisch, Sagen aus dem Joachimsthaler Bezirke, S. 70.)


Einmal weidete ein vierzehnjähriger Knabe am Fuße des Grauensteins bei Joachimsthal seine Herde. Da dieselbe ruhig graste, ließ er sich ins Gras nieder, vertiefte sich in den Inhalt eines Buches und gewahrte zu spät, dass sich das Vieh auf die Gebirge verstiegen hatte. So musste er denn mit bangem Herzen von einem Berge zum andern steigen, bis er endlich die vollzählige Herde fand, die er auf die Wiese zurücktrieb. Aber ermüdet vom langen Suchen, versank der junge

Hirt in einen tiefen Schlaf. Als er erwachte, schimmerte ihm eine so feuerrote Lilie entgegen, wie er noch keine auf allen seinen Wanderungen über Berg und Tal gesehen hatte. Also gleich eilte er darauf zu, pflückte sie und steckte sie auf seinen Hut.

Und wie wunderbar! Kaum berührte er sein Haupt, so ward es plötzlich auf demselben lebendig. Voll Bestürzung nahm der Junge den Hut ab, er sah eine Otter darauf liegen und warf den Hut eiligst zu Boden, wo statt des zischenden Tieres ein goldener Schlüssel niederfiel, der aber in dem Augenblicke verschwand, als er ihn aufheben wollte. - Es soll dies der Schlüssel zum Schatze in dem verzauberten Grauensteiner Schlosse gewesen sein, den bis auf den heutigen Tag noch niemand in Besitz genommen hat. Der Glückliche, dem er bestimmt ist, soll demnach noch kommen.



 
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