360. Der Schweizerzug bei Joachimsthal. E-Mail

(Wenisch, Sagen aus dem Joachimsthaler Bezirke, 1882, S. 5.)


In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte in der Schweiz ein verarmter Kaufmann, der einmal den höchst sonderbaren Traum hatte, er werde auf der steinernen Karlsbrücke zu Prag sein Glück finden. Ohne sich lange zu besinnen, bestieg er sein Rösslein und ritt nach der Hauptstadt Böhmens, dem hunderttürmigen Prag. Daselbst angelangt, ging er in froher Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, auf der Moldaubrücke auf und ab. Durch sein seltsames Benehmen zog der Schweizer bald die Aufmerksamkeit des auf der Brücke aufgestellten Wachsoldaten auf sich, welcher ihn endlich fragte, was er hier suche. „Mir hat geträumt“, erwiderte der Angesprochene, „dass ich auf dieser Brücke mein Glück finden werde. Nun gehe ich aber hier schon mehrere Stunden hin und her, ohne nur eine Spur des erhofften Glückes zu finden.“ „Sonderbar“, sagte der Wachposten, „mir träumte auch einmal von meinem künftigen Glücke, das ich in den westlichen Bergen erst suchen gehen soll, aber ich lege den Träumen keine Bedeutung bei, denn Träume find Schäume!“ Kaum hatte dies der Schweizer vernommen, so eilte er in seine Herberge zurück, ließ sein Pferd satteln und ritt, seinem Sterne folgend, immer dem Westen zu, um zu dem geistreichen, durch seine Prophezeiungen bekannten Johannes Niavis (Schneevogel), dem Einsiedler am Wolfsberge, wo heute das Dorf Mariasorg liegt, zu gelangen und dann seine Reise nach „Conradisgrün“ (Konradsgrün), der ersten Ansiedelung von Joachimsthal, fortzusetzen. Nach mehrtägigem Ritt kam er in die Gegend von Lichtenstadt. Wie er immer weiter trabte, blieb des Rosses Huf an etwas hängen, und das Hufeisen wurde abgesprengt. Er stieg ab, um nach der Ursache dieses Unfalles zu sehen. Da bemerkte er, dass ein Zapfen von Silbererz das Hufeisen abgerissen und freute sich, sein zwischen den Schweizerbergen geträumtes Glück gefunden zu haben. Der Schweizer kehrte, nachdem sein Pferd in der nächsten Schmiedewerkstatt wieder beschlagen worden war, in die Heimat zurück, traf aber bald in Konradsgrün mit einem Zuge Schweizer Bergleute ein. Diese durchforschten die Gegend und gruben untertags mit bestem Erfolge nach Silbererzen. So wurde der Kaufmann aus der Schweiz, der in der Tat auf der Prager Moldaubrücke sein Glück gefunden hatte, ein grundreicher Mann, und noch heute führt ein langer Haldenzug, der damals eine sehr ergiebige Ausbeute gab, den Namen „der Schweizerzug“.


Eine im wesentlichen gleiche Sage finden wir in den deutschen Sagen der Brüder Grimm (2. Anfl., I. B., No. 212). Hier wird aber jemandem auf der Brücke zu Regensburg die Mitteilung, dass unter einem gewissen Baume ein großer Kessel mit Geld vergraben sei, was sich auch bestätigte.



 
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