765. Der Kärrner zu Stollberg. E-Mail

(Nach Ziehnerts poet. Bearbeitung bei Gräße a. a. O. No. 575.)


In der letzten Zeit vor dem 30jährigen Kriege lebte zu Stollberg eine Witwe mit ihrer Tochter in einem kleinen Häuschen am Ende der Stadt, das Häuschen war ihr von ihrem verstorbenen Ehemanne als einziges Erbe hinterlassen worden. Dem Hause gegenüber wohnte ein junger Mann, der seinen Unterhalt damit fand, auf den Dörfern mit verschiedenen Waren herumzuziehen, die er auf einem kleinen Wagen, welchen sein Hund zog, mit sich führte. Nun war der junge Mann längst der Tochter der Witwe gut gewesen und auch diese hatte ihn immer gern gesehen, da traf es sich, dass er gerade am heiligen Christabende mit ihr von seiner Liebe sprach und sie fragte, ob sie sein Weib werden wolle. Das Mädchen sagte freudig ja, und beide teilten der alten Mutter die frohe Neuigkeit mit und feierten so recht in Herzenslust den heiligen Abend. Allein plötzlich sprang der Kärrner auf und erklärte, er könne nicht länger bleiben, er müsse noch in das benachbarte, 1 1/2 Stunde von der Stadt gelegene Wittendorf, das später durch den Krieg zur wüsten Mark ward, um dorthin bestellte Waren zu schaffen. Zwar bat ihn seine Braut, nur diesen Abend zu bleiben, es sei ihr so ängstlich zu Mute, allein der Kärrner lachte sie aus und meinte, es sei ja Mondenschein, er habe den Weg schon so viele male bei schlechterem Wetter und im Finstern gemacht, er werde ihn also auch heute nicht verfehlen. Er ließ sich nicht halten, sein Mädchen aber setzte sich traurig an den Spinnrocken und versuchte sich die Zeit mit Spinnen zu vertreiben. Aber in ihrer Herzensangst kamen ihr hässliche Bilder vor, die Spindel und das Garn schienen

ihr blutig zu sein, und es war ihr, als spinne sie ihr Leichenhemde. Sie nahm also das Gesangbuch und die Bibel zur Hand, allein alles half nichts, es wollte keine Ruhe in ihr ängstlich schlagendes Herz einziehen. Endlich hörte sie die Glocke zur Frühmette läuten und sie eilte hinaus, um zu sehen, ob ihr Bräutigam zurückgekehrt sei, allein weder jetzt noch nach dem Schlusse der Mette ließ er sich sehen. Endlich hatte sie keine Ruhe mehr, sie bat einen ihr freundlich gesinnten Nachbar sie nach Wittendorf zu begleiten, um dort zu hören, ob ihrem Geliebten etwas zugestoßen sei. Als sie aber dort ankamen, hörten sie, derselbe sei zwar dagewesen, aber schon seit Mitternacht wieder fortgefahren, und sie konnten also nicht mehr zweifeln, dass ihm ein Unglück begegnet sei. Auf dem Rückwege verfolgten sie nun die Spur, welche der Kärrner mit seinem Wagen hinterlassen hatte, und dieselbe führte sie auch deutlich nach einer morastigen, aber grundlosen Stelle eines den Stollbergern unter dem Namen des Walkteiches bekannten Weihers, wo sie auf einmal aufhörte. Jetzt konnte die Arme nicht mehr an dem Schicksale ihres Bräutigams zweifeln, sie kehrte trostlos in das Städtchen zurück und sprach im halben Wahnsinn zu ihrer alten Mutter, in drei Monaten werde sie ihr Bräutigam zur Trauung abholen, bis dahin müsse sie sich ihr Hochzeitskleid spinnen. So spann sie denn emsig bis zum Osterfeste, und als die Mitternacht des Vorabends gekommen war, da dünkte es ihr, es poche jemand dreimal ans Fenster. Sie öffnete es und es schien ihr Bräutigam draußen zu stehen, zwar mit totenbleichem, aber himmlischfreundlichem Gesichte, er lud einen Myrtenkranz und Zypressenranken von seinem Wagen ab und verschwand. Kaum hatte sie ihrer bekümmerten Mutter von der Erscheinung erzählt, als sie auch schwer erkrankte, und es waren nicht 24 Stunden verronnen, da war das Mädchen entschlafen. Seit dieser Zeit sagt man aber, dass sich der Geist des Kärrners mit seinem Wagen und Hunde in den Gassen von Stollberg allnächtlich sehen lasse, und wo er vor einem Hause anhält und Kränze abladet, da wird jemand aus demselben drei Tage nachher begraben, und wenn jemand in der Stadt auf den Tod liegt, da sagt man. Dort hat der Kärrner abgeladen. Das Sumpfloch aber, worin er sein Grab fand, heißt noch heute das Kärrnerloch.


Aus den Akten über den Kärrner von Stollberg ergibt sich folgendes: Er hieß Martin Schmidt aus Crottendorf und ertrank am 24. Dezember 1591 abends 6 Uhr im Ratsteiche, d. i. Walkteiche, zu Stollberg. Am 25. abends 4 Uhr ist er aufgesunden, durch den Scharfrichter herausgezogen, aufgehoben und „hinterm Städtlein an der Zwischen Straße auf dem Scheidewege, am Viehweg nach Würschnitz zu“ begraben worden. Solches ist vom Stollberger Schösser Lorenz Stuihler dem Beamten

in Schwarzenberg, Seibold Werner, gemeldet und bei demselben, wahrscheinlich weil man in Zweifel war, ob der Mann ertrunken oder sich ertränkt hatte, angefragt worden, wie man sich dabei zu verhalten habe, da so ein Fall ihm weder bei seinen jetzigen, noch in seinen früheren Ämtern vorgekommen sei. Dieser hat daraus angeraten, sich darüber beim Amte Chemnitz, wo sich zweifelsohne solche Fälle schon zugetragen, im Vertrauen zu befragen. (Stollberger Anzeiger, 1882, No. 39.)



 
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