044. Die weiße Frau im Pfarrgarten zu Meerane. E-Mail

(Leopold, Chronik und Beschr. der Stadt Meerane, S. 252.)


In alter Zeit lebte auf dem Schlosse zu Meerane ein Herzog, der von seiner Gemahlin keine Kinder bekam. Daher nahmen sie ein junges Mädchen, eine Gräfin, an Kindesstatt an. Als diese 17 Jahr alt war, starb des Herzogs Gattin. Sie ward bald vergessen und kurze Zeit darauf von dem Herzoge jenes Mädchen zur zweiten Gemahlin erwählt, welche ihm in der Folge zwei Kinder gebar, einen Knaben und ein Mädchen. Auch der Vater starb, als jener acht, dieses zwei Jahre alt war, und die junge Witwe ließ sich bald darauf den Zutritt eines fremden, ihr nicht ganz ebenbürtigen Mannes gefallen. Als er nun während der Zeit seiner Bewerbungen einmal wieder abreiste, hatte er die Worte fallen lassen: es sei alles gut, wenn nur vier Augen nicht wären. Das verblendete Weib und die dabei unnatürliche Mutter deutete obige Worte so, dass ihr Liebhaber sie gern heiraten würde, wenn nur ihre zwei Kinder nicht wären. Und sofort war auch ihr Entschluss gefasst. Die Wartefrau musste mit den beiden Kindern in den nahen Wald, das Gottesholz, gehen und ein gedungener Bösewicht alle drei ermorden. Die Wartefrau fiel als erstes Opfer. Als der Knabe sie in ihrem Blute hinsinken sah, fiel er dem Mörder um den Hals und versprach, er wolle ihm fünf Rittergüter von seinen acht geben, wenn er ihn nur leben ließe. Doch auch ihm senkte der Schändliche

den Dolch in die Brust. Das Mädchen hielt ihm zur Abwehr, wie zur Beschwichtigung, in jeder Hand eine Puppe entgegen, die sie mitgenommen hatte. Auch dies Kind wurde nicht geschont. Die Mutter ließ hierauf die drei Leichen heimlich in die Burg bringen, und nach dem sie ausgesprengt, alle drei seien schnell einer bösartigen Krankheit erlegen, in der Burgkirche beisetzen. Ihrem Liebhaber schrieb sie, das Hindernis ihres Ehebundes sei beseitigt und er solle nun kommen. Und er kam - aber mit strafendem Blicke und dem Bedeuten, dass er sie nur habe prüfen wollen, ob bei ihr sinnliche Liebe über Kindesliebe siegen könne, und dass nun ein Ehebündnis mit ihm unmöglich sei. Jetzt überfiel die Unglückliche die entsetzlichste Reue und da sie meinte, dass ihre so große Schuld nur durch die schwerste Buße zu sühnen sei, ließ sie sich beide Knie mit Polstern umkleiden und trat nun in Begleitung ihrer Kammerfrau und in leichtem Gewande ihre Bußreise zu dem Papste nach Rom immer auf den Knien rutschend an. Auf der Hälfte des Weges starb ihre Begleiterin, sie selbst musste allein weiter reisen. Als sie endlich an dem ihr bezeichnete Kloster in Rom angekommen war, war es nachts 12 Uhr, sie vermochte es nicht mehr, sich aufzurichten und an der Schelle zu ziehen, sank vor Erschöpfung nieder und wurde früh morgens vor der noch ungeöffneten Pforte des Klosters von Vorübergehenden tot aufgefunden. Ihre Seele fand daher keine Ruhe, sondern schweift seitdem als weiße Frau in dem Rotengarten oder Raubgarten, dem jetzigen Pfarrgarten von Meerane, umher. In einem alten Buche über Meerane soll die Ermordung der beiden Kinder abgebildet sein mit den Unterschriften:

„Mein lieber H., lass mich leben,

Ich will dir Neudeck und Nossen (?) geben,

Pleißenburg, die neue,

Es wird dich nicht gereue.“ Und:

„Mein lieber H., lass mich leben,

Ich will dir meine Puppen geben.“


Fast ganz übereinstimmend mit unserer Sage ist die von der Gräfin von Orlamünde. (Richter, Deutscher Sagenschatz, 4. Heft No. 51.)



 
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