169. Der Berggeist von Joachimsthal. E-Mail

(Novellistisch in Wenisch, Sagen aus dem Joachimsthaler Bezirke, S. 12. ec.)


Die Grube St. Barbara zu Joachimsthal hatte einst einen bösartigen gottlosen Obersteiger, welcher über Kirche und Gebet spottete, unmäßig trank und spielte, seine Untergebenen drückte und einen schändlichen Unterschleif machte. Seinem Beispiele folgten die meisten seiner Untergebenen, nur acht oder zehn Bergleute glaubten treu an Gott und Vergeltung, hielten in frommer Gemeinschaft zu einander und wurden von der bösen Rotte ihrer Kameraden spottweise „Moses und die Propheten“ genannt. Zu diesem kleinen Häuflein, welches vergebens der einreißenden Verwilderung entgegenstrebte und sogar mit einer Anzeige drohte, gehörte auch Daniel. Derselbe war ein junger Mann voll Geist und Leben und dabei ausgestattet mit reichen Kenntnissen im praktischen Bergbau, so dass er bereits von dem verstorbenen Vorgänger des gottlosen Obersteigers dem Bergamte zur Beförderung vorgeschlagen worden war. Doch hatte man ihn bald wieder vergessen, so dass die Hoffnung Daniels, seine Braut Marie, welche die hinterlassene Tochter des verstorbenen Obersteigers war, heiraten zu können, in weite Ferne rückte. Dazu kam noch, dass ihn der gottvergessene neue Obersteiger wegen seines frommen Wesens hasste und bei den übrigen Vorgesetzten verleumdete. Nur die Trostworte seiner Braut und eines alten Freundes, des eisgrauen Martin, welcher mit ihm auf derselben Grube anfuhr, trösteten ihn. Als nun Daniel eines Tages vor Ort arbeitete und es schon stark gegen das Ende der Schicht gehen musste, da sein letztes Licht in der Blende fast ganz heruntergebrannt war, hörte er unter seinen Füßen ein Klopfen und Hämmern, und er wusste wohl aus den Erzählungen des alten Martin, dass dies von den Erdgeistern herrühren müsse, da er ja auf der Sohle der Grube stand

und unter ihm keine Häuer arbeiteten. Da suchte er sein Arbeitszeug zusammen, um wieder auszufahren. Als er aber im Stollen um eine Ecke bog, trat ihm plötzlich aus einem von den Alten betriebenen und wieder verlassenen Orte ein kleiner, dicker Mann im Grubenkittel entgegen. Schlägel und Eisen, die ihm im Gürtel staken, waren ungeheuer groß und stark. In der rechten Hand hielt er eine Blende, in der aber kein Licht brannte, sondern ein herrlicher grüner Stein befestigt war, der einen wunderlieblichen Schein in hellen Strahlen nach allen Seiten hinwarf. Wie nun Daniel schweigend vorübergehen wollte, ward er mit Erstaunen gewahr, dass der unbekannte Bergmann mit seinem Leibe die Breite des Stollens so genau ausfüllte, dass an ein Vorbeischlüpfen nicht zu denken war. Er trat also einen Schritt zurück, schlug ein Kreuz vor der Gestalt und sagte: „Wer du auch seist, gib einem frommen Bergmanne Raum, der auf seinem Berufswege wandelt!“ Aber der kleine Kerl lachte und sagte: „Ich fürchte mich vor Deinem Zeichen nicht, Kamerad, und magst du daraus abnehmen, dass ich dir kein Leid zufügen will. Im Gegenteil, ich will dir helfen. Du bist ein armer Kerl, hast manchmal kaum satt Brot und verdienst mehr, als alle die Schurken, die hier anfahren. Ich bin der, den Ihr den Bergmönch nennt, bin Herr über alle Gebirge dieser Gegend und kenne alle edlen Flötze und reichen Gänge. Dich hab ich lieb gewonnen und will dich zum reichen Manne machen. Hier nimm!“ Damit langte er aus seinem weiten Grubenkleide eine Menge der herrlichsten Schaustufen von Rotgüldenerz hervor. „Gott behüte“, sprach Daniel, „dass ich Euer Geschenk annehme, und somit meinen Landesherrn bestehle. Wisst Ihr wirklich, wo edle Geschicke brechen, so zeigt es dem Steiger an, und wir bekommen dann alle einen höheren Lohn. Schimpft mir auch nicht auf meine Kameraden, es sind auch noch ehrliche Kerls darunter.“ „Narr du,“ brummte der Bergkönig, „mit Deinen ehrlichen Kameraden, und Dein Steiger ist ein Schuft, der die Grube bestiehlt und dem ich noch einmal den Hals umdrehen will! - Du nimmst also mein Geschenk nicht?“ „Ich darf nicht, Herr!“ Entgegnete Daniel. „Nun, so krieche hinaus, du blöder Maulwurf!“ Mit diesen Worten fasste ihn der Berggeist bei den Schultern und warf ihn den Stollen vor bis an den Fahrschacht, ohne dass dem Daniel jedoch ein Glied weh getan hätte. Derselbe stieg nun hinauf, und als er so hoch oben war, dass das Tageslicht in den Schacht fiel, sah er wieder den Berggeist, welcher bereits oben war und mit dem Neffen des Steigers seine Silberstufen teilte. Da der Neffe aber immer die größere Hälfte in seinen Kittel steckte und darauf den übrigen Teil dem Berggeiste zuschob, packte ihn dieser beim Gürtel,

riss ihm die versteckten Stücke heraus, rannte ihn mit dem Kopfe gegen die Fahrt, wobei er immer schrie: „Heißt das ehrlich geteilt, du Galgenstrick? Heißt das ehrlich geteilt?“ Und schleuderte ihn endlich in den Schacht hinunter. Glücklicherweise gelang es dem auf der Fahrt feststehenden Daniel, den Neffen des Steigers aufzufangen und wieder mit heraufzubringen. Er trug ihn zum Steiger, dem er die ganze Geschichte erzählte. Dieser aber hieß ihn einen Narren, der wohl betrunken gewesen sei, und gebot ihm nach Hause zu gehen. - Am anderen Morgen wurde Daniel vor den Steiger gefordert, der ihn der Lüge beschuldigte, indem sein Neffe ausgesagt habe, wie Daniel betrunken in die Grube gekommen sei, Händel angefangen und ihn, den Neffen, blutrünstig geschlagen habe. Das Märchen vom Bergmönch sei nur erfunden worden, damit sich Daniel auf diese Weise entschuldige. Zur Strafe solle derselbe nun 8 Tage lang zur Huntejungenarbeit, welche die jüngsten Anfänger verrichteten, verurteilt sein. Diese neue unverschuldete Kränkung empörte Daniels Herz, er beschloss, seinen Abschied zu fordern und auf einem ausländischen Bergwerke ein Unterkommen zu suchen. Seine Braut Marie bestärkte ihn in seinem Entschlusse. Am nächsten Lohntage wollte er seinen Abgang anzeigen. Im Bewusstsein seiner Unschuld war er wieder angefahren und begann eben seine Strafarbeit. Plötzlich stand der Berggeist vor ihm und sprach: „Siehst du, Tropf, wie Deine Gutmütigkeit belohnt wird, und was Du für ehrliche Kameraden hast? So nimm nun ein Stück Silber von mir, damit du wenigstens einen Zehrpfennig auf die Reise hast!“ „Hebe dich weg, Versucher!“ Antwortete Daniel, „jetzt leide ich unschuldig, deshalb bin ich heiter und guter Dinge, so ich aber Deinen Reichtum nähme und mein Gewissen mit ungerechtem Gut belastete, was bliebe mir dann für ein Trost?“ Da entgegnen der Berggeist: „Ich sehe wohl, dass du ein ehrlicher, wackrer Bursche bist, und deshalb soll es dir wohl gehen. Jetzt merke wohl auf, was ich dir sage. Wenn du zu Abend aus der Grube fährst, so bitte den Steiger, er möchte dich morgen frei lassen, du wolltest Deine Andacht halten. Das darf er dir nicht abschlagen. Dann gehe zum Geistlichen, empfange das heilige Sakrament und halte dich ruhig. Hüte dich aber jemand ein Wort zu sagen, es wäre zu Deinem Schaden. Wenn nun der Steiger die Knappen beruft, so gehe und tue frischen Muts, was Dir befohlen wird, du bist auf guten Wegen, Gott wird dich schützen und ich werde dir behülflich sein!“ Daniel tat, wie ihm gesagt ward. Er verrichtete am andern Morgen seine Andacht und saß nun stillbetend in seinem Kämmerlein, wartend, was da kommen sollte. Einige Stunden nach Mittag hörte er ein Zusammenlaufen

und lautes eilendes Gespräch vor seiner Hütte. Als er hinaustrat, vernahm er, dass in der Grube ein großes Unglück geschehen sein müsse, denn das Gestänge stehe still und man höre in der Tiefe ein ungewöhnliches Brausen und Poltern. Bald rief die Bergglocke die Arbeiter, welche sich nicht auf der Schicht befanden, beim Steiger zusammen, welcher wetterte und fluchte. Beim Zählen fehlte bloß der alte Martin, welcher am vorigen Tage die Erlaubnis erhalten hatte, in sein Geburtsdorf zu gehen. Nun ordnete der Steiger an, dass einer hinabsteigen müsse, um nachzusehen, was unten geschehen sei. Dazu veranlasst er seinen eigenen Neffen, weil er ihm Gelegenheit verschaffen wollte, sich auszuzeichnen. „Ich verspreche dir,“ so sagte er zu ihm, „einen Bericht ans Bergamt, der dir den Untersteiger einbringen soll!“ Der Neffe weigerte sich anfangs, versuchte es dann, stieg wieder empor und bat schließlich, ihn zu verschonen, da ihn die Angst umbringe. Da stieß ihn der erzürnte Oheim in die Grube hinab und warf die schwere Falltüre zu. - Unterdes hatte sich die Kunde von dem Unglücke in der Grube weiter verbreitet, die Frauen und Kinder von mehr als zwanzig Bergleuten, die auf der Schicht arbeiteten, kamen herbei und überhäuften den Steiger mit Vorwürfen, unter ihnen war auch Marie, welche von tödlicher Angst um Daniel an den Unglücksplatz getrieben wurde. Da gebot der Steiger, durch die Vorwürfe erbittert, durch seines Neffen vorsätzlichen Mord noch mehr verwildert, Daniel solle nun hinab und ihm Kundschaft bringen, woraus er dann den Bericht abfassen könne. Daniel trat darauf, obwohl ihn Marie davon zurückzuhalten suchte, die gefährliche Fahrt an. Er tröstete seine Braut und sagte, sie würden sich gewiss wiedersehen. Der Steiger aber warf die Falltür wieder zu, schob den Riegel vor und sagte lachend: „Der fromme Mann wird wohl pochen, wenn er wieder heraus will!“ Damit ging er nach seinem Hause. Auf Mariens Bitten öffneten die oben stehenden Bergleute den Schacht wieder und das Mädchen lauschte hinab. Plötzlich rief sie aus: „Ich sehe ein Licht in der Tiefe!“ Und dann wieder: „Gottlob, es ist Daniel!“ So war es. Daniel stieg glücklich hinauf, alle Arme streckten sich nach ihm aus, um ihm zu helfen. Um seinen Leib hatte er ein Seil geschlagen, und an dem Seile hing der leblose Körper des vom eigenen Onkel hinabgestürzten Neffen. Das erste, was Daniel tat, war, des Neffen Schläfe zu reiben, man entzündete Sprengpulver vor dessen Nase, und endlich gelang es den vereinten Bemühungen, ihn wieder zum Leben zurückzurufen. Als er die Augen aufschlug, sah er Daniel und stammelte: „Daniel, unschuldiger, verleumdeter Daniel, zweimal mein Retter, ach, vergib!“ Dieser drückte ihn an sein Herz. Während

dessen war ein höherer Bergbeamter mit dem Steiger an die Grube gekommen. Der Bergoffizier beugte sich über den Schacht, starrte hinab und sagte: „Unglaublich! Die Wässer steigen noch immer. Seht nur selbst, Obersteiger!“ Dieser eilte herbei, sich weit über den Abgrund legend. Aber plötzlich fuhr, allen sichtbar, eine Riesenfaust aus der Tiefe, drehte im Nu des Steigers Angesicht auf den Nacken, dass man alle Wirbel brechen hörte, hielt das grässlich verzerrte, blaue Todenantlitz der Menge entgegen und verschwand mit seinem Raube unter der Flut. Darauf hörte man ein fürchterliches Donnern in der Tiefe. Als sich die Umstehenden von ihrem Schreck etwas erholt hatten, sprach der Bergbeamte sehr ernst: „Gott hat gerichtet und meinen schwachen Händen dies Amt entnommen! Denn auch ich war gekommen zu richten!“ Er erzählte nun, wie die Unredlichkeit des Steigers dem Bergamte bekannt geworden sei, und wie er vor seiner Abreise von dem alten Martin, den er als einen frommen Bergmann kenne, noch mehr vollgültige Beweise der Schuld erhalten habe. Hier an der Grube habe er den unredlichen Mann seines Amtes entsetzen und zur Strafe ziehen wollen. Und als der Bergoffizier nun weiter von Daniel hörte, wie derselbe in der Grube seinem Tode in den hereinbrechenden Wassern entgangen sei und wie er den Körper des Neffen vom Steiger gefunden und auf wunderbare Weise gerettet habe, da erkannten er und alle Anwesenden die Hand Gottes und die Hülfe des Berggeistes. Daniel war mit dem Körper des von seinem Onkel Hinabgestürzten von den Fluten verschlungen worden, und als er wieder zum Bewusstsein kam, fand er sich mit letzterem in einer geräumigen, trocknen Halle, zu seinen Füßen stand die angezündete Blende und lag ein Stück Seil. So gelang es ihm, wieder die Fahrt zu gewinnen und den leblosen Körper mit hinauf zu ziehen. - Der Bergoffizier ernannte hierauf Daniel im Auftrage des Bergamtes zum Untersteiger an der Grube St. Barbara, und ebenso wies er auch dem alten Martin einen Zuschuss an, der es ihm erlaubte, den Rest seines Lebens außer der Grube zuzubringen. Darauf schied der Beamte von ihnen, indem er dem Daniel noch Glück zu seinem neuen Berufe wünschte. Nach acht Tagen war Marie Daniels glückliches Weib. Der Berggeist erschien zwar nicht wieder, aber mehrfach konnten die Glücklichen seine Nähe spüren. Zwar blieb die ersoffene Grube liegen, jedoch entdeckte Daniel in demselben Reviere die herrlichsten Anbrüche. Die Grube ward nach seinem Namen „Daniel -Zeche“ genannt, gab überreiche Ausbeute und baute sich gut aus. Als aber nach einem Jahre Daniel den Beamten und den alten Martin zu Gevattern bei seinem neugeborenen Söhnlein bat und ersterer ihm die Ernennung

zum Obersteiger mit Gehaltszulage mitbrachte, da klingelte es auf einmal wie goldene Schellen auf den zinnernen Tellern, die an der Wand standen, und siehe, es fielen eitel neue Goldstücke durch die Decke herab, hundert an der Zahl. In der Mitte war ein Mönch darauf geprägt, und rund herum standen die Worte: „Beschert Glück zur Daniel -Zeche!“ Jetzt erkannte Daniel wohl seinen alten Freund, den Berggeist, und in der Freude seines Herzens griff er nach einem Becher Weins und brachte auf den Berggeist die Gesundheit aus. Da tat ihm jedermann Bescheid, die Gläser klirrten und zugleich ertönte eine starke, liebliche Musik von Harfen und Zithern, Hörnern und Schalmeien. Als man aber die Türe öffnete und den Spielleuten zu trinken geben wollte, da war niemand zu sehen und zu hören.



 
< zurück   weiter >