291. Der verborgene Schatz im Schlossbrunnen auf dem Purberge. E-Mail

(I. Mann in der Erzgebirgs-Zeitung 1882, S. 16.)


Der Purberg bei dem Dorfe Tschernowitz bei Komotau trug vor langer Zeit auf seinem altehrwürdigen Haupte ein prachtvolles Schloss, von welchem nur noch einige Trümmer übrig geblieben sind. Vor seiner Zerstörung schon waren aber die Schätze, welche es in seinem Innern barg, verschwunden, Geister haben sie hinweggeräumt und bewachen

sie in den unterirdischen Räumen des Berges Tag und Nacht. Wenn man sich in der Nacht dem Berge nähert, so bemerkt man über gewissen Stellen blaue Flämmchen, die aber bald wieder verschwinden. Einstmals hüteten zwei Knaben Vieh auf dem Berge und, ohne sich um dasselbe viel zu kümmern, setzten sie sich nieder und spielten, nachdem sie sich vorher der Stiefeln entledigt hatten. Bald aber kamen sie miteinander in Streit. Der eine Knabe nahm jetzt den Stiefel von seinem Kameraden und warf ihn aus Bosheit in den Schlossbrunnen. Was war jetzt zu tun? Den Stiefel wollte und musste der Beschädigte haben. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als in den Brunnen zu steigen und den Stiefel zu holen. Gedacht, getan. Er hatte aber noch nicht den Wasserspiegel erreicht, als er zu seiner Rechten einen Gang gewahrte, in dessen Wölbung ein alter, stämmiger, weißbärtiger Mann stand, der Knabe erschrak, fasste sich aber sogleich und klagte dem Greise seine Not. Dieser gab dem Knaben den Stiefel aus Mitleid zurück, der Knabe dankte, kletterte zurück und kam glücklich wieder oben an. Aber welches Entsetzen! Der Stiefel war schwer wie Blei! Er sah hinein und bemerkte einen großen Goldklumpen. Sobald der andere Knabe dieses sah, erwachte in ihm der Neid und die Habgier, und um sich ebenfalls einen solchen Schatz zu holen, stieg er auch in den Brunnen hinab, kam aber nie mehr zum Vorschein.

Ein armer Mann, dessen Weib schwer krank darnieder lag und der überdies noch drei unmündige Kinder zu versorgen hatte, beschäftigte sich, um nur das tägliche Brot zu verdienen, mit dem Sammeln von Hadern und Papierabfällen, um sie dann zu verkaufen. Einmal, am Karfreitage, ging er an sein armseliges Tagewerk, hatte aber zu seinem großen Leide nichts von seinen gesammelten Effekten verkauft. Betrübt darüber, mit Tränen in den Augen, kam er an dem Purberge vorüber und dachte darüber nach, wovon er mit seinem Weibe und seinen hungrigen Kindern heute und morgen leben werde. Wie er so in Gedanken weiter geht, sieht er plötzlich einen alten Mann, der ihn fragt, worüber er so betrübt sei. Der Hadersammler erzählte ihm ganz aufrichtig seinen Kummer und sprach ihn zuletzt um ein Almosen an. Der alte Mann aber antwortete: „Geld habe ich zwar keines, aber gehe nur nach Hause, dort wird dir schon geholfen werden.“ Der arme Mann glaubte seinen Worten, und zu Hause angelangt, schüttete er seinen Korb mit dem Papier und den Hadern aus und entdeckte zu seinem größten Erstaunen am Boden des Korbes einen großen Goldklumpen. Von nun an war er ein wohlhabender Mann.



 
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