311. Der Schatz zu Joachimsthal. E-Mail

(Wenisch, Sagen aus dem Joachimsthaler Bezirke, S. 34.)


Im nördlichen Stadtteile von Joachimsthal, im sogenannten Oberthal, stand vor Jahren hart an der Gartenmauer, welche sich rückwärts des Hauses Nr. 106 befindet, ein stark gewachsener Holunderstrauch. Da die Wurzeln desselben immer tiefer in die ohnedies sehr schadhafte Mauer eindrangen, war diese dem Einsturze nahe, deshalb schickten sich die beiden Nachbarn Anton und Franz an, die Mauer abzutragen. In der Mitte derselben fanden sie beim Abräumen einen irdenen Topf mit Kirschkernern, von denen jeder eine kleine Öffnung hatte, als ob er von einem Käfer angebohrt worden wäre. Einer der Nachbarn nahm den Topf und schleuderte ihn an einen Stein, so dass die Scherben und Kirschkerne auf ein Häufchen zusammenfielen. Dies geschah um die Mittagsstunde, als auf dem nahen Kirchturme die Glocke ertönte. - Die beiden Männer begaben sich hierauf nach Hause, um ihr Mahl einzunehmen, und erzählten ihren Angehörigen von dem Funde im Garten. Diese gingen, von Neugierde gequält, sogleich an Ort und Stelle, um den merkwürdigen Fund zu betrachten, allein weder ein Scherben noch ein Kirschkern war zu finden. Auch die Nachbarn, die mit Eifer an der Abtragung der Gartenmauer fortarbeiteten, sahen nicht die geringste Spur von dem früher verschmähten Funde, der ein großer Schatz gewesen sein soll.

Bald darauf ging Elisabeth, die Wirtschafterin des Besitzers jenes Hauses, während des Abendläutens nach dem Hintergebäude, wo eine Falltür in den Keller führte, und bemerkte darauf ein Häufchen glühender Kohlen. Bestürzt eilte sie zu ihrem Herrn und fragte ihn, ob er auf die Kellertür Asche geschüttet habe, was er mit Entschiedenheit verneinte. Um sich aber zu überzeugen, liefen beide zur Falltür, das Gluthäufchen jedoch war verschwunden.

Über der Gasse, dem oben bezeichneten Hause gegenüber, befand sich zwischen zwei Häusern ein überaus schmaler, freier Raum, wo viel Stroh- und Heugesäme abgelagert war. Daselbst fand ein Mann, der mit der Säuberung des Platzes beschäftigt war, ein schweres eisernes Kistchen und stieg mit seinem Funde, um ihn in Sicherheit zu bringen,

auf die Leiter, die er zur leichteren Vollführung seiner Arbeit angelegt hatte. Als er mitten auf der Leiter stand, hörte er plötzlich seine Frau ängstlich rufen: „Hans, komm´ herauf, das Kind hat´s Bein gebrochen!“ Vor Schrecken ließ er das Kistchen fallen und lief in die Stube, in welcher die Frau das lächelnde Kind in der Wiege schaukelte. Seine Verwunderung steigerte sich, als er erfuhr, dass seine Frau ihn gar nicht gerufen habe. Nachdem Hans den Vorfall seinem Weibe erzählt hatte, eilte er nach dem Orte zurück, um das in seiner Bestürzung weggeworfene Kistchen zu holen, welches er jedoch trotz allen Suchens nicht wiederfand.

Glücklicher war ein anderer Nachbar, der in späteren Jahren vor seinem Hause ein glühendes Kohlenhäufchen sah. Er nahm eine Schürze und deckte dasselbe vorsichtig zu. Dann ging er in sein Haus, holte ein Gefäß, in welches er das Häufchen schüttete, und trug es in den Keller. Des andern Tages sah er nach und siehe! Aus den Kohlen waren lauter blanke Goldstücke geworden.



 
< zurück   weiter >