165. Das graue Männchen warnt einen Bergmann. E-Mail

(K. Fr. Döhnel im Erzgeb. Anzeiger, Schneeberg 1803, S. 180.)


Eine geraume Zeit hatte der alte Bergmann Kapuzer redlich und treu in den unterirdischen Klüften gearbeitet, und wer ihn gesund und von der verderblichen Bergluft verschont in seinem grauen Kopfe sah, der musste ihm gut sein. Freilich hatte er sich auf der Fahrt seines Lebens durch Kämme *) und Knauer **) winden müssen, und manches Wetter und manche Felsenwand hatten ihn auf seiner Fahrt bedroht. Es schien fast, als hätte ihn das Schicksal als ein taubes Gestein auf die Halde des Lebens geworfen, aber nie verlöschte das Grubenlicht der Hoffnung in seiner Hand, und mit diesem glaubte er noch einen reichhaltigen Gang zu treffen. Aber eine fürchterliche Teuerung brach herein, und Berghenne ***), die sonst ihm und seinen Kindern Sonntagskost gewesen war, musste er ganz entbehren und oft Tage lang hungern. Die Kleinen jammerten ihn sehr, und ob er sich schon manches entzog, um nur ihren Hunger zu stillen, so wollte es doch nicht zulangen. Einstmals fuhr er zur Frühschicht an und sang mit frohem Mute das schöne Lied. Wer nur den lieben Gott lässt walten, obschon er seit zwei Tagen wenig gegessen hatte. Unter den letzten Versen des Liedes begann er seine Arbeit und verfolgte rasch mit dem Fäustel den am Tage vorher getroffenen Gang. Da sprang ihm gediegenes Silber ins Auge. Die Stufe, die er abhieb, war reichlich, und von ihrem Verkaufe konnte er langen Unterhalt für seine Kinder hoffen. Das Elend der Kinder stand vor ihm, die Mittel, es zu mildern, auch, und schon streckte er in Erwägung der wachsenden Not seine Hand nach der Silberstufe. Da schlug ihm etwas auf die Achsel. Er drehte sich um und sah ein kleines graues Männchen im Berghabite hinter sich stehen, das mit der einen Hand auf die Silberstufe zeigte und die andere drohend erhob. Kapuzer schauderte, warf die Silberstufe hin und das Männchen verschwand. Sogleich fuhr er aus, um es seinen Vorgesetzten zu melden, dass Gott das Gebet der Gewerken erhört und Gänge und Klüfte aufgetan hätte. Die Vorgesetzten umarmten den

redlichen Mann, fuhren in den Schacht und sahen den reichen Fund. Die meisten Gewerken waren bemittelte Leute, sie wollten den alten Kapuzer mit Ruhe in seinen alten Tagen für seinen Fund belohnen, aber er schlug es aus, obschon sie ihm doppelten Lohn boten. „Ich will in meinem Berufe sterben, ist ja das Grab auch nur ein Schacht, in dem der Silbergang der Ewigkeit glänzt,“ rief der Greis mit Tränen in den Augen, „ich kann noch arbeiten.“ Die Bitte ward ihm gewährt, seine Kinder wurden gekleidet und er durch ein ansehnliches Geschenk der drückenden Nahrungssorgen für sich und die Seinen entzogen. Noch sechs Jahre arbeitete er mit gleicher Tätigkeit. Da rief ihn der Bergfürst von der Schicht. Früh morgens um drei Uhr wollte er zur Arbeit aufstehen, aber er vermochte es nicht. Um acht Uhr rief er seinen ältesten Knaben: „Geh´ zum Bergmeister,“ sprach er, „und sag´ ihm, der alte Kapuzer werde bald Schicht machen, sein Grubenlicht wolle verlöschen, er solle mich noch einmal besuchen.“ Der redliche Bergmeister kam zu dem Sterbenden und dieser erzählte ihm die Geschichte von dem Bergmännchen. Der Bergmeister stand gerührt an seinem Bette. Dann faltete der Kranke die Hände, betete still und endlich sprach er mit schwacher Stimme: „Es ist vollbracht, Glückauf!“ und verschied. Wenn ein redlicher Bergmann aus Armut stehlen will, warnt ihn das Bergmännchen, und nur die, welche geübte Bösewichter sind, überlässt es der Stimme ihres Gewissens und der strafenden Hand der Obrigkeit.


*) Kämme sind festere Gesteinslagen.

**) Knauer, ein festes und rohes Gestein.

***) Berghenne ist eine Wassersuppe oder auch Brot und Käse.



 
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