252. Das Berggebäude „Turmhof“ bei Freiberg. E-Mail

(Gießler, Sächs. Volkssagen. Stolpen o. I., S. 282.)


Hinter dem Gute Turmhof vor der Stadt Freiberg bemerkt man die Überbleibsel eines ehemaligen bedeutenden Bergbaues. Dort war vor mehr als drei Jahrhunderten das Berggebäude „Turmhof“ gangbar, welches zu den hervorragendsten der damaligen Zeit gehörte und in seinen Anfängen vielleicht bis in die Zeit der Gründung Freibergs zurückreichte. Wie aber alles in der Welt der Vergänglichkeit zum Opfer fällt, so waren auch die Tage dieser Grube gezählt, denn schon vor Jahrhunderten kam sie zum Erliegen, wie manche ihrer Genossinnen, und die Ausbeute der Gewerken verwandelte sich in Zubuße. Wodurch nun der Turmhof zum Erliegen gekommen, darüber gibt folgende Sage Aufschluss.

Eine wichtige Person bei der Grube war der Kunststeiger Heinrich, er verstand das Maschinenwesen seiner Zeit wie keiner, das aber wusste er auch und ließ sich deshalb von niemand in sein Fach hineinreden, nicht einmal vom Obersteiger, der doch sein Vorgesetzter war. Deshalb gab es auch mancherlei Zwiespalt zwischen den beiden, und mit der Zeit hatte sich eine Feindschaft herausgebildet, die namentlich dem Obersteiger seine Stellung sehr verleidete. Der Kunststeiger war bekannt und gefürchtet wegen seines abstoßenden Charakters. Neid, Habsucht, Rachetrieb, Streitsucht, namentlich beim Kartenspiel, dem er absonderlich zugetan war, und sonstige üble Eigenschaften hafteten an ihm und brachten ihn fortwährend in Händel mit seiner Umgebung. Auch erzählte man sich von ihm, dass er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe. Dieser Kunststeiger hatte nun einen Sohn mit Namen Veit, einen muntern, freundlichen und friedliebenden Jüngling mit bravem, rechtschaffenem Herzen, der ebenfalls dem Bergmannsstande

angehörte und auf dem Turmhofe anfuhr. Sein Vater, obschon ein rauer und harter Mann, war ihm doch mit wahrhaft abgöttischer Liebe zugetan.

Auch der Obersteiger Gebhardt vom Turmhof hatte ein Kind und zwar ein vielumworbenes hübsches Töchterchen, welches Johanna hieß. Alle Bemühungen um ihre Hand wurden aber von Johanna zurückgewiesen, denn sie hatte sich bereits mit des Kunststeigers Sohn Veit heimlich verlobt, und wenn letzterer die ihm bereits verheißene Anstellung als Untersteiger erhalten haben würde, wollten sie Hochzeit machen, falls ihre Väter (die Mütter waren bereits gestorben) nichts dagegen hätten. Der Obersteiger erfuhr auch sehr bald aus dem Munde seiner Tochter, wie die Sache stand, und seine Bedenken wurden durch die Tränen und Bitten der Tochter und im Hinblick auf Veits bergmännische Tüchtigkeit und untadelhafte Aufführung endlich beseitigt.

Anders war es bei dem alten Kunststeiger. Derselbe grollte mit dem Obersteiger fort und trachtete darnach, demselben Schaden zuzufügen. Dazu sollte ihm das unlängst geschlossene Bündnis mit dem Teufel helfen. Für die Dienste, welche ihm letzterer zu gewähren versprochen hatte, sollte ihm der Kunststeiger Heinrich alljährlich die Seele eines Menschen liefern, und zwar sollte es jederzeit derjenige sein, welcher am letzten Tage des Jahres der letzte beim Ausfahren aus der Grube Turmhof wäre. - Wieder war der letzte Tag des Jahres erschienen, an welchem nach dem Vertrage der Plan des bösen Kunststeigers zur Ausführung kommen musste. Die Schichtzeit war abgelaufen, die Zeit zum Ausfahren gekommen. Die sämtliche Mannschaft befand sich auf der Fahrt, der Obersteiger war vom Kunststeiger durch irgend einen Vorwand in der Grube zurückgehalten worden. Jetzt kamen sie zum Schachte, da bestieg der Kunststeiger schnell die Fahrt und gab vor, dem Obersteiger beim Hinausfahren das Öffnen des Schachtdeckels ersparen zu wollen. So gelangte der Obersteiger als der letzte zum Ausfahren.

Der Himmel aber fügte es, dass der Kunststeiger dennoch eine falsche Rechnung gemacht hatte. Sein eigener Sohn Veit war, unbemerkt von ihm, noch in der Grube zurückgeblieben. So wurde dieser nun derjenige, der zuletzt zum Ausfahren kam, - aber er hat das Tageslicht nicht mehr gesehen und keines Menschen Auge erblickte den Unglücklichen jemals wieder. Der Teufel lauerte seinem Opfer auf und stürzte es rücklings in die grausige Tiefe. Als der Kunststeiger seinen Feind, den Obersteiger Gebhardt, rüstig und ohne Fährlichkeit Sprosse um Sprosse hinter sich nachfahren sah, mochte er sich wohl wundern, dass der Satan sich nicht des letzteren bemächtigte. Mit Unwillen und Staunen bemerkte er, dass sein Widersacher unbeschädigt nach ihm die

Schachtkaue betrat. Als er aber mit düster forschendem Blicke die Mannschaft überschaute, und unter ihr seinen Sohn Veit vermisste, da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, der Teufel hatte ihn um das liebste, für welches sein verknöchertes Herz noch Gefühl gehegt, betrogen. Bewusstlos sank er zusammen.

Die Abwesenheit Veits war bald bemerkt worden, man wunderte sich über sein Außenbleiben. Da erhob sich der endlich zum Bewusstsein gekommene Kunststeiger mit irrem Blicke. Hastig schrie er: „Ich will sehen, wo mein Sohn geblieben ist!“ Dann fuhr er zurück in die Grube. „Niemand folge mir, dem sein Leben lieb ist!“ herrschte er den Knappen zu, die sich erbötig zeigten, den bekümmerten Vater zu

begleiten. Die Berghäuer gehorchten und lauschten nur hinab in die Tiefe. Da erscholl es drunten wie von mächtigen Axthieben und man vernahm bald darauf ein entsetzliches Geprassel. Erschrocken flohen die Leute, denn sie befürchteten des Schachtes baldigen Einbruch und hatten sich nicht getäuscht. Der Kunststeiger zerhieb mit furchtbaren Axtschlägen die Kunstgestänge und zerstörte die Gerinne, in welchen das starke Aufschlagwasser zum Umtriebe des Kunstrades über den Schacht geleitet war, so dass die ganze Wassermasse sich in die Tiefbaue ergoss und bald die ganze Grube ersoff. In den wild hereinstürzenden Gewässern hat der Kunststeiger seinen Tod gefunden. Der Teufel verpasste seine Zeit nicht: er hatte ihn drunten geholt. Des Obersteigers Tochter Johanna verfiel infolge jenes trübseligen Ereignisses in ein hitziges Fieber, an welchem sie lange in Lebensgefahr darniederlag. Die Jugend half ihr die Krankheit überwinden, aber sie war und blieb für immer tiefsinnig. So trat sie in das in der Sächsstadt zu Freiberg gelegene Jungfrauenkloster zur heiligen Maria Magdalena ein. Erst später verließ sie es wieder, als dasselbe bei der Reformation gänzlich aufgelöst wurde, und kehrte in die Welt zurück. Die Grube Turmhof kam nach jenem unglücklichen Ereignisse zum Erliegen, denn wo der Teufel gehaust hat, kann kein Segen aufkommen.



 
< zurück   weiter >