289. Der Schatz des Seeberges. E-Mail

(Fr. Bernau, Comotovia. 1877, S. 76.)


In der Nähe des erzgebirgischen Schlosses Eisenberg erhebt sich der sogenannte Seeberg, der seinen Namen von dem großen See führt, welcher einst seinen felsigen Fuß umspülte. An diesen Berg knüpft sich die Sage, dass er eine ganze Braupfanne voll Gold in seinem Innern berge. Aber es gibt nur ein Mittel, in denselben und zu dem Schatze zu gelangen, und dies ist folgendes: Wenn der Priester am Palmsonntage die Passionsgeschichte liest, öffnet sich eine geheime Türe, durch welche man zu dem Golde gelangen kann, was jedoch bis Mittag 12 Uhr geschehen muss, da mit dem zwölften Glockenschlage die Türe wieder bis auf Jahresfrist verschwindet.

Im Jahre 1855, so erzählte ein Bauer aus jener Gegend, machte sich an dem besagten Tage ein Schneider mit noch zwei Gefährten auf den Weg nach dem Seeberge. Am Fuße desselben angelangt, eilte der Schneider voraus und bald hatte er seine schwerfälligeren Begleiter im Rücken. Er klomm von Felsen zu Felsen, durch Gesträuch und Gebüsch zum Gipfel hinan und gelangte bald auf einen grünen, baumfreien Platz, wo er seine Gefährten erwarten wollte. Allein er wurde fast starr vor Schrecken, als er in einer kolossalen Felsenwand plötzlich eine große geöffnete Tür erblickte, welche in einen langen, dunklen Gang führte. Als er seine Sinne wieder gesammelt hatte, konnte er deutlich Stöhnen, Bitten und Flehen um Befreiung aus dem Innern

des Berges vernehmen, er besann sich nicht lange, merkte sich die umstehenden Bäume wohl und lief in aller Eile zurück, um seine Kameraden zu holen. Diese waren jedoch noch weit zurück, und als er sie endlich erreicht, hörte er auch schon den zwölften Glockenschlag und zugleich einen furchtbaren Donnerschlag vom Berge her, dass alle drei dem Herannahen ihres letzten Stündleins schaudernd entgegensahen. Da aber der Himmel sonst ganz heiter war, auch die Natur vollkommen ruhig sich zeigte, ließen sich die beiden andern endlich bewegen, mit dem Schneider an die bezeichnete Stelle zurückzukehren. Dort angekommen, fanden sie jedoch statt der erwarteten Türe nur die hochragende starre Felsenwand, die sie von früher her wohl kannten, von einer zu den Schätzen führenden Öffnung war keine Spur zu sehen. Dieser tragische Anblick versetzte nun den armen Schneider in ein abermaliges Erstarren, indem er das schon sicher gewähnte Glück mit einem Schlage vernichtet sah.

Ob seit jener Zeit wieder irgend ein schatzsüchtiges Menschenkind den Versuch gemacht hat, dem Seeberge seine Schätze abzugewinnen, hat man nicht erfahren.



 
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