319. Die Schatzgräber. E-Mail

(Wenisch, Sagen aus dem Joachimsthaler Bezirke, S. 100.)


Zwischen Platten und Jungenhengst steht am Wege, der in die letztgenannte Ortschaft führt, ein Bild, welches Jesum, wie er gegeißelt wird, darstellt und von den Umwohnern „schönster Jesus“ genannt wird. Dort soll ein großer Schatz verborgen liegen. Denselben wollten vor vielen Jahren zwei Geschwister, Bruder und Schwester, heben. Nachdem beide sich mit den üblichen Beschwörungsformeln bekannt gemacht hatten, gaben sie sich das Versprechen, kein Wörtlein während des Schatzgrabens zu sprechen. In einer Nacht gingen sie nun an Ort und Stelle und gruben allda, bis sie nach längerer Arbeit auf den Deckel einer Geldkiste stießen. Allein welcher Schreck! Mit einem male kommt ein Soldat gegen das schätzesuchende Geschwisterpaar heran. Nach einer Weile sprengt auf feuersprühendem Rosse ein Reiter daher, dem mit Blitzesschnelle sich eine ganze Schwadron Kriegsgefährten anschließt. Eisiges Grauen überfiel da die Geschwister, welche einander schweigend anblickten. Als aber eine Totenbahre sichtbar ward, der ein langer Leichenzug folgte, da rief die Schwester: „Jesus, Maria! Da tragen sie unsere Mutter!“ Wie diese Worte ihrem Munde entflohen waren, stürzte im Innern der ausgegrabenen Grube ein mächtig sprudelnder Quell hervor. Immer höher und höher stieg das Wasser und überflutete in wenigen Augenblicken den Weg. Bald reichte es sogar den Geschwistern bis zur Brust, so dass sie, über die höchst sonderbaren Erscheinungen entsetzt, von dannen eilten. Als sie nach Hause kamen, waren sie - welch ein Wunder - ganz trocken. Das Geschwisterpaar verspürte nun keine Lust mehr, den Schatz zu holen.



 
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