363. Die neue Grube bei Preßnitz. E-Mail

(Ed. Wenisch in der Erzgebirgs-Zeitung, 2. Jahrg., S. 2.)


Unweit der Bergstadt Preßnitz steht an der Straße, welche von Dörnsdorf dahin führt, eine Marienstatue. Dieselbe stellt die Mutter Gottes mit dem Jesuskindlein dar, welches die Erdkugel und das Szepter in seinen Händchen hält. Neben dem Gnadenbilde stand vor vielen, vielen Jahren eine unansehnliche, kleine Berghütte mit einer ergiebigen Grube. Im Volksmunde lebt noch die Sage fort, welche sich an die Statue und die Berghütte knüpft. Zur Zeit einer großen Teuerung lebte in einer windschiefen, halbverfallenen Hütte des Erzgebirgs eine arme, brave Bergmannsfamilie. Schlecht und recht, wie es eben bei einem Bergmanne möglich ist, hatte der arbeitsame Vater in bessern Tagen sein Weib und seine vier Kinder im Schweiße seines Angesichts ernährt. Heute aber saß er gar tiefbekümmert, das Haupt gebeugt, die schwieligen Hände gefaltet, im Kämmerlein, denn weder ein Bissen Brot noch ein roter Pfennig war in der Hütte. Als er sein Weib vor Not heiße Tränen weinen sah, und seine sterbenskranken Kinder vor Hunger schrieen, da wollte dem Vater vor Gram und Kummer schier das Herz zerspringen. Nicht länger litt es ihn unter seinem Dache. Viel Schönes hatte er ja von der Mildtätigkeit der Menschen erzählen hören, warum sollte er dieselbe nicht auch in seiner hartbedrängten Lage in Anspruch nehmen? Und er ergriff, den Seinigen Trost zusprechend, den Wanderstab, um in den benachbarten Dörfern wohltätig Mitmenschen um Gaben für seine hungernde Familie anzusehen. Wo er anklopfte, ward ihm zwar aufgetan, allein überall traten ihm bleiche, darbende Gestalten entgegen, die selbst bittere Not litten und darüber klagten, denn schwerer als jeder andere Landesteil war diesmal das blutarme Erzgebirge von der ausgebrochenen Teuerung heimgesucht. So kam unser Bergmann ganz hoffnungslos vor Preßnitz an. Der schreckliche Gedanke, dass seine Familie

nun dem Hungertode zum Opfer fallen müsse, brachte ihn zur Verzweiflung. Ermattet brach der Lebensmüde auf dem Wege zusammen und wollte, da er gerade einen Strick bei sich hatte, Hand an sich legen, um so allem Elende mit einem male zu entgehen. Doch von neuem erwachte in ihm sein echt christlicher Sinn und verscheuchte das wahnsinnige Hirngespinst, er nahm seine Zuflucht zur gnadenreichen Gottesmutter, sank auf die Knie und verrichtete ein kräftiges Gebet, das lindernden Balsam in sein wundes Herz träufelte, so dass alsbald Friede in dasselbe einkehrte. Vom Schlaf überwältigt, legte der Hungrige sein müdes Haupt auf den Rasen und schlief ein. Da klang es um ihn her wie himmlischer Engelschor, und im strahlenden Lichtglanze erschien Maria, die Himmelskönigin, mit dem holden Jesuskindlein auf dem Arme. Mit wundermilden Blicken näherte sie sich dem Bergmann und sprach: „Wach´ auf, öffne die Erde unter deinem Haupte und vertraue fest auf Gott!“

Der Bergmann erwachte, heiliger Schauer durchrieselte seine Glieder, da er noch immer die überirdischen Klänge zu vernehmen meinte. Neu gestärkt sprang er auf, ergriff, um sich zu überzeugen, ob er geträumt oder gewacht habe, seinen wuchtigen Wanderstab und wühlte an jener Stelle, wo er geschlafen, die Erde auf. Kaum hatte er diese einige Zoll aufgeschürft, da sank er plötzlich in die Knie, hob seine Hände gen Himmel und rief aus: „Gepriesen sei der allmächtige Gott und die seligste Jungfrau Maria, ich bin gerettet!“ Ein Klumpen Gold lag zu seinen Füßen, der nun aller Not ein Ende machte. Mit beflügelten Schritten eilte der Bergmann zu den Seinigen heim und verkündigte ihnen mit freudestrahlendem Gesichte das wunderbare, rettende Ereignis. Wer beschreibt wohl den Jubel der armen Familie, die auf überaus seltsame Weise in die Lage kam, sich die lange entbehrten Nahrungsmittel anzuschaffen und so ihre Gesundheit bald wieder herzustellen? Gottes reicher Segen aber begleitete auch fernerhin die Unternehmungen des Bergmanns, der von jetzt an auf eigene Faust den Bergbau an jener wunderbaren Stelle betrieb und daselbst viel edles Erz zu Tage förderte.

Zur bleibenden Erinnerung an die glückliche Errettung seiner Familie ließ der Bergmann aus tiefer Religiosität und Dankbarkeit neben der kleinen Berghütte eine Statue der heiligen Jungfrau Maria errichten und lebte mit den Seinen noch viele Jahre glücklich und zufrieden.



 
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