387. Der Traum auf Augustusburg. E-Mail

(Ziehnert, Sachsens Volkssagen. Anh. No. 20.)


Kurfürst August I., der Erbauer der Augustusburg, hatte auf derselben ein Schlafgemach, darin zwei Betten standen, das eine für ihn selbst, das andere für seinen Kanzler, einen Edlen von Pflug. Neben dem Bette des Kurfürsten aber stand ein Tisch, auf welchem stets eine aufgeschlagene Bibel lag, weil der fromme Kurfürst jedes Mal vor dem Schlafengehen ein Kapitel aus derselben zu lesen gewohnt war. Einst schlief er ruhig in seinem Bette, da hatte er folgenden Traum: Ein Mönch und eine Nonne traten in das Gemach und schritten zu dem Tische, auf dem die Bibel lag und das brennende Nachtlicht stand. Der Mönch nahm die Bibel auf und las darin, legte sie aber bald wieder verdrießlich weg und wollte das Licht ausblasen. Als ihm aber das trotz aller Anstrengung nicht gelingen wollte, ward er darüber voll Ärger und eilte der Türe zu. Hierauf versuchte auch die Nonne das Licht auszublasen, und blies es auch aus, jedoch nicht ganz. Denn kaum, dass sie mit dem Mönche zur Tür hinausgeeilt war, da entzündete sich die Kerze, an deren Dochte noch einige Fünkchen glommen, plötzlich wieder und brannte mit schöner, heller Flamme.

Dieser Traum schien auf den Kurfürsten einen tiefen Eindruck gemacht zu haben, denn als er früh in der fünften Stunde erwachte, war das erste Wort, das er nach dem Morgengruße an den Kanzler richtete: „Ich habe einen seltsamen Traum gehabt in dieser Nacht!“ Da nun der Kanzler antwortete, dass auch er, obgleich er bis nach Mitternacht wach geblieben, gar seltsame Dinge gesehen habe, so tat der Kurfürst den Vorschlag, dass sie beide ihr Gesicht alsbald aufzeichnen wollten, dies geschah denn auch, und als sie fertig, teilten sie das Geschriebene einander mit. Wunderbar genug hatte der Kanzler ganz dasselbe mit wachen Augen gesehen, was dem Kurfürsten im Traume vorgekommen war, und noch wunderbarer war es, dass das von ihnen Aufgezeichnete in jedem Wort und Buchstaben vollkommen übereinstimmte. Der Kanzler wusste nicht, was er davon denken sollte, der Kurfürst aber sprach: „Es wird dermaleinst nach meinem Tode auch ein Augustus in diesem Lande regieren, der wird die evangelische Lehre unterdrücken wollen, aber nicht können, denn Gottes Wort und Luthers Lehr´ vergehen nun und nimmermehr!“

Nach andern Nachrichten soll der Kurfürst eine harte Verwünschung desjenigen unter seinen Nachkommen, der die Lutherlehre anfeinden würde, in der Bibel aufgezeichnet haben.

Ob der Mönch und die Nonne jemals wieder in Augustusburg erschienen sind, davon hat niemand etwas erfahren. Die obige Geschichte aber erzählen viele Chroniken.



 
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