325. Die drei Jungfrauen und die Schätze des Borberges bei Kirchberg. E-Mail

(Anton Bär im Glückauf, 2. Jahrg. S. 80.)


In der Schlacht an der Göltzsch, in welcher die Deutschen die Herrschaft der Sorbenwenden in den Flußgebieten der Saale, Elster und Mulde brachen, verlor auch ein adeliger Sorbe das Leben. Seine Burg lag inmitten seines ansehnlichen Grundbesitzes auf dem Borberge, welcher sich nahe bei der Stadt Kirchberg erhebt. Bevor er in den Kampf gezogen war, hatte er seine Schätze dicht neben dem Burgbrunnen,

welchen man noch heute auf dem Borberge zeigt, vergraben, seine

Kinder aber, drei Mädchen von großer Schönheit, hinausgeführt in den heiligen Hain und sie hier geloben lassen, dem Glauben ihrer Väter treu zu bleiben und die heiligen Gebräuche ihres Volkes fortzuüben. Als die Deutschen in die Gegend einrückten, brannten sie die Burg nieder, ließen aber die drei Schwestern, welche unterdessen ein kleines Gehöfte am Berge bezogen hatten, ziemlich unbelästigt in ihrer Verborgenheit leben. Allerdings traf auch sie, was jetzt über alle ihre Stammesgenossen in der Umgegend erging: Sie mussten den Weisungen der deutschen Herrschaft willigen Gehorsam leisten und die Taufe und den christlichen Glauben annehmen. Letzterer Anordnung kamen sie indessen nur widerwillig nach, denn der neue Glaube stand im Widerspruch mit ihrem dem Vater geleisteten Gelübde und erlaubte ihnen nicht, manchen alten liebgewordenen Gebrauch weiter zu pflegen, sie fühlten sich darum oft in ihrem Herzen beschwert und gingen häufig zur Nachtzeit mit anderen Genossen hinaus zum zerschlagenen Opfersteine und übten allda ihre heidnischen Gebräuche.

Lange blieb das Treiben der Schwestern und ihres Anhanges verborgen, als aber aus dem Walde am Geiersberg heraus ein Kirchlein sich erhob und die Mönche dort das Seelsorgeramt mit Strenge übten, da setzten diese auch den Zusammenkünften am Opfersteine ein Ziel, und forderten die Schwestern, als die Veranstalter derselben, zu strenger Rechenschaft. „Ihr dient dem Herrscher der Hölle“, eiferten sie, „wohlan, da ihr unsere Warnungen und Mahnungen nicht beachtet habt, so sollt ihr auch dem Bösen verfallen sein. Wir sprechen den Bann über euch aus, freud- und friedlos sollt ihr sein, bis es euch gelingt, ein Christenkind zu herzen und zu küssen, das man aus dem Walde herein nach St. Margarethen zur Taufe trägt“. - In der Tat gewann es den Anschein, als waltete über den aus der Gesellschaft Gestoßenen von Stund an ein freundlicher Stern nicht mehr. Jedermann vermied den Umgang mit ihnen, sie hatten weder Rast noch Ruhe mehr und mussten öfters in der Nachtzeit, wenn die wilde Jagd dahin zog, wie das gehetzte Wild den finstern Wald durchirren. Das waren böse, harte Zeiten für die Schwestern, traurige Erlebnisse, welche endlich in ihren Herzen die Reue erkeimen ließen, dem Willen des Vaters gemäß gehandelt zu haben. Vergebens erwies sich auch das Bemühen, den wenigen, zufällig in ihre Nähe kommenden Menschen sich freundlich zu erweisen, vergebens die Bitte bei den Mönchen zu St. Margarethen, den bösen Zauber zu lösen welchen ihr Bann über sie gebracht hatte, die Not blieb und nahm zu, je älter sie wurden. Manches Jahr war bereits verschwunden und noch immer harrten die Schwestern des Zusammentreffens mit einem Kinde, das im

nahen Kirchlein die Taufe empfangen sollte. Zwar hatte der Zufall die Gelegenheit hierzu einige Male geboten, aber die Scheu vor ihnen war so groß, dass man bei ihrem Erscheinen stets zur Seite wich und schon aus der Ferne den Versuch einer Annäherung zu hindern suchte. Da gewahrte einst in einer Nacht die jüngste der Schwestern in der Gegend, wo, umgeben vom dichten Wald, eines Köhlers Hütte stand, noch helles Licht, von dem Wahrgenommenen unterrichtet, schlichen alle drei, begleitet von ihren zwei treuen Knechten, bis zur Hütte und bemerkten, dass des Köhlers Weib ein Kind geboren hatte. Sogleich stand der Entschluss in ihnen fest, dem Kinde, wenn es zur Taufe getragen würde, zu nahen und dessen Begleitung um die Erfüllung ihres Wunsches anzugehen. - Es währte auch nur kurze Zeit, als spät an einem Nachmittage der Köhler in Gesellschaft weniger Personen auf dem schmalen Pfade daher geschritten kam, um seinen Neugebornen nach St. Margarethen zur Taufe zu bringen. Also gleich trat die älteste der Schwestern an ihn heran und sprach: „Lieber, lass mich Dein Kind sehen und herzen, du sollst dafür auch diesen schönen glänzenden Stein haben, sieh´ nur, wie er in der Sonne blitzt und funkelt.“ Doch der Angeredete wandte sich ab und entgegnete: „Ich begehre weder Deinen Stein, noch sollst du mein Kind sehen, halte mich nicht auf und lass mich weiter gehen.“ Eine Strecke weiter kam die zweite Schwester und redete: „Lieber, sieh´ dieses Goldstück, es soll dir gehören, sobald du mir erlaubst, Dein Kind einen Augenblick auf meinen Armen wiegen zu dürfen.“ „Nein,“ rief unwillig der Köhler, „Deines Goldstücks wegen gebe ich den Kleinen nicht aus meinen Händen, blicke nur empor, welch schweres Wetter am Himmel dräuet, ich will eilen, weiche zur Seite.“ Abermals einen Steinwurf weiter kam die dritte Schwester dem Taufzuge entgegen. „Ei, lieber Köhler,“ begann sie im muntern Ton, „Freya, die liebreiche, hat dir ein Kind beschert, welches Du ohne Zweifel jetzt zur Taufe trägst, hier nimm diesen Wickel Flachs als Taufgeschenk, er soll Deinem Kinde Segen bringen, doch erlaube mir, den Kleinen auf einen Augenblick zu sehen.“ Da reichte der Vater dem Mädchen, weil es gar so herzlich bat, das Kind und dieses drückte rasch einen warmen Kuss auf dessen Lippen. Noch redeten beide miteinander, als das Glöcklein von der Kapelle eifrig mahnte, das Gespräch einzustellen. Über den brausenden Bach auf schwankendem Steg eilte der Köhler hinauf zur Kapelle, die Jungfrau aber raschen Laufes zu den in banger Erwartung harrenden Schwestern. Wie fröhlich lenkten diese jetzt ihre Schritte dem Hofe zu, wie glücklich saßen sie nachdem der jüngsten die Ausführung des längst gehegten Vorhabens gelungen war, dort beisammen! Die Tat, einst als Erfordernis bestimmt,

den auf ihnen lastenden Zauber zu bannen, war erfüllt und von nun an sollte der Böse keine Macht mehr über sie haben.

Die Taufe in der Kapelle hatte längst ihr Ende erreicht, aber das inzwischen zum Ausbruch gekommene Gewitter hinderte bis zum späten Abend den Köhler an der Rückkehr zu seiner Hütte. Mit mächtiger Gewalt tosete diesmal der Donnergott. Mehr als einmal fuhr der blendende Strahl, wie von der Kapelle aus zu bemerken war, auf den Borberg nieder und musste zuletzt auch gezündet haben, denn man sah im strömenden Regen dort dichten Qualm und Rauch aufsteigen. Dazu ließ sich ein Pfeifen und Rollen in der Luft vernehmen, als wenn der Fürst der Hölle selbst sein Wesen triebe. Letzteres war in der Tat auch der Fall, denn erzürnt darüber, dass drei durch den Bann ihm verfallene Seelen sich seiner Herrschaft zu entringen gewusst hatten, fuhr er grimmig und tobend im Wetter davon. - Endlich hatte die Natur ihre Ruhe wieder gefunden , am Himmel leuchteten bereits die Sterne, und in reicher Fülle sandte der Mond sein silbernes Licht zur Erde, als der Köhler mit seiner Begleitung den Heimweg antrat. Ohne Aufenthalt kam er auch diesmal nicht am Borberge vorüber. Mitten auf dem Wege, an derselben Stelle, wo vor wenig Stunden eine der Schwestern den Anblick seines Kindes erbeten hatte, hörte er plötzlich seinen Namen rufen. Er blickte empor und sah zwischen den Bäumen hindurch oben auf einem vorspringenden Felsen die drei Jungfrauen stehen und hörte zugleich, wie sie ihm zuriefen: „Lieber Köhler, habe Dank, dass du dein Kind unserer jüngsten zum Kusse reichtest, du hast uns dadurch aus schwerer Not und Drangsal befreit. Komm nur sonder Scheu herauf zu uns und nimm den Schatz, mit dem wir dich belohnen wollen.“ Aber dem Angerufenen und seinen Begleitern liefen bei diesen Worten die Schauer bald kalt, bald heiß über den Rücken, sie schlugen eiligst ein Kreuz und suchten schnell weiter zu kommen.

Gegen den anbrechenden Morgen hin mochte es jedoch den Köhler gereuen, der Einladung nicht Folge geleistet zu haben. Der Gedanke an den angebotenen, von ihm aber so leichtfertig verschmähten Schatz beherrschte seine ganze Seele, und über sein Vorhalten peinigten ihn umso mehr allerlei Vorwürfe, als ja die Schwestern sich ihm immer freundlich erwiesen hatten. Mit dem ersten Sonnenstrahl, der seine Hütte traf, war er darum auch schon auf den Beinen, ging auf den Berg und forschte nach den drei Jungfrauen. Er kam zu ihrem Hofe, doch dieser lag still und ausgebrannt vor ihm, er stieg hinauf zum zerklüfteten Gemäuer der Burg, aber auch hier war nichts von den Gesuchten zu sehen und zu hören. Missmutig lagerte er sich nunmehr

in das Gras und rief mit fast weinerlicher Stimme und allerlei zärtlichen Worten nach den Schwestern. Doch auch diese Mühe schien lange des Erfolges zu entbehren. Endlich gewahrten seine Augen hinter einem Stein ein kleines graues Männlein mit langem weißen Bart, welches ihm also zurief: „Törichter, warum störst du die kaum begonnene Ruhe der Schwestern? Warum lohntest du ihr Vertrauen nicht wieder mit Deinem Vertrauen? Du hast Dein Glück verscherzt, doch Deines Sohnes werden sie gedenken, sobald die Sonne achtzehnmal über die Erde gegangen sein wird. Wisse, die einst Vielgeplagten schlafen von jetzt an bei ihren Schätzen im Berge, wenn sie erwachen, erscheinen sie wieder an dem Brunnen, begegnet ihnen dann ein Menschenkind, dem sie wohlwollen, so beglücken sie es mit großem Gute.“

An des Köhlers Kinde ist die Verheißung zur Wahrheit geworden, ebenso sind im Verlauf der Zeiten die Schwestern mehreren nächtlichen Wanderern glückbringend erschienen. Aber noch sollen die von ihnen gehüteten Schätze so groß sein, dass sie davon noch vielen Erwählten zu spenden vermögen. Wer nun davon haben will, der gehe zur Zeit der Sommer- und Wintersonnenwende, sobald es nächtet, auf den Berg, vielleicht erscheinen die Schwestern und lassen ihn Gnade finden vor ihren Augen.



 
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