385. Eine Sylvestersage. E-Mail

(Illustriertes Familien-Iournal. V. No. 116.)


Es war im vorigen Jahrhundert an einem Sylvesterabende, da saß in der Stadt Schöneck ein alter, wackerer Schneider, zugleich Stadtrat und Gemeindeältester, mit seiner getreuen Ehehälfte im rauchgebräunten Stübchen und schneiderte noch für den Festtag. Im großen Kachelofen prasselte ein gemütliches Feuer, und in der Röhre sang der Kaffee gar lustige Liedlein. Auf einmal erhob sich die Hausmutter, kramte herum und suchte und suchte, und machte ein gar verdrießlich Gesicht, vergeblich, sie fand nicht das Kamelgarn zu den Knopflöchern.

Die Niederlage war aber oben auf dem Boden, deshalb musste der Vater hinauf. Oben stand er in der schönen Winternacht an der Dachluke, und es wurde ihm so wunderlich im Herzen und er musste sein Käppchen abnehmen und ein stilles Vaterunser beten. Wenn man aber zur Neujahrsnacht unter einem Balken steht, dessen eines Ende nach Morgen gerichtet ist, und ein Vaterunser betet, und nicht aus der Linie des Balkens heraustritt, so kann man „horchen“, d. h. einen Blick in die Zukunft tun, die in einzelnen Bildern vorüberzieht. Tritt man aber aus dem Kreise heraus, oder man erzählt jemandem, was man gesehen hat, so soll’s einem den Hals umdrehen. Der Alte hatte gar nicht daran gedacht, - aber auf einmal, da fängts an zu läuten, als ob eine Leiche wäre, und den Mühlberg herauf kommt ein langer, langer Leichenzug, immer näher und näher, bis er endlich vor des alten Schneiders Haus anhält. Es dauert auch nicht lange, so kommt die Schule und die Geistlichkeit, mit dem Kreuze voran, stellen sich neben der Bahre auf, singen zwei Lieder und eine Arie, und dann setzte sich der Zug in Bewegung nach dem Kirchhofe zu. Der Alte kann die Leichenbegleiter alle erkennen, Vettern, Nachbarn, Gevattern, ja sogar sich selbst und seine Ehehälfte darunter, sich selbst dicht hinter dem Sarge und mit weinenden Augen. Da ward´s ihm doch ein wenig bange und er wäre gern fortgegangen, aber es fiel ihm noch zu guter Zeit das Halsumdrehen ein. Wie er nun so recht trübselig da stand und träumerisch hinausblickte, sah er aus einem Hause ein Flämmchen herausfahren, dann aus einem andern, dann wieder eins und wieder eins, und zuletzt kam fast aus jedem Hause ein Flämmchen gefahren, und das, wusste er wohl, bedeutet Feuer. Da konnte er sich denn doch nicht mehr halten, sprang aus dem Kreise, und – es schlug Eins! Als er indessen wieder herunterkam, war seine alte Ehehälfte eingeschlafen, er weckte sie auch nicht erst auf, sondern ließ die Arbeit sein und legte sich nieder, konnte aber nicht schlafen, war früh verstimmt, ging auch nicht in die Metten, sondern saß still und traurig daheim. Als er nach einigen Tagen den Wächter traf, tat dieser sehr geheimnisvoll und beklommen und meinte: „ Meister, Meister! ´S wird ä schlecht Jahr für euch und für uns all’! Der liebe Gott behüt´ uns und die Stadt! Mehr darf ich nit sagen: Aber wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallet!“ Der hatte auch gehorcht, und so noch andere. - Es dauerte auch nur wenig Wochen, da starb des alten Schneiders Bruder, der Müller drunten in der Bockmühle. Es wurde zur Leiche gelauten, den Mühlberg herauf kam ein langer Zug, der vor des Alten Haus anhielt. Es kam die Schule und die Geistlichkeit voran, die stellten sich auf, sangen dieselben zwei Lieder und

dieselbe Arie, dieselben Leute gingen hinter dem Sarge her, der Alte mit entblößtem Haupte und weinenden Auges. Der alte Wächter aber stand am Kirchhoftore, sah den Alten verständnis- und geheimnisvoll an, und weinte so heftig, dass die Leute gar nicht begreifen konnten, wie ihm der Tod des Bockmüllers so zu Herzen gehen könne. Der hatte aber seinen guten Grund, traurig zu sein, denn er wusste, was geschehen würde. Es geschah auch. In demselben Jahre noch ist fast die ganze Stadt abgebrannt und des Alten Haus dazu. Es war nur gut, dass es gerade Eins schlug, als er aus dem Kreise sprang, sonst wäre es wohl noch schlimmer für ihn geworden.



 
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