741. Schön-Guta von Hassenstein. E-Mail

(Nach Ed. Heger in der Erzgebirgs-Zeitung, 1881, S. 143 ec.)


Eine halbe Stunde vor dem Bergstädtchen Platz liegen die von einem dreifachen Walle umgebenen Ruinen des Schlosses Hassenstein. Nach einer Sage wurde dasselbe in der Mitte des 11. Jahrhunderts von einem Reichsritter Emerich erbaut, welcher mit dem Grund und Boden von dem Kaiser Heinrich III. für geleistete Kriegsdienste und besonders für seinen Beistand in der Heerfahrt gegen den Böhmenherzog Achilles Bratislav belehnt worden war. Sieben Jahre dauerte der Bau, und als er beendigt war und der Ritter einzog in sein stattliches Bergschloss, da nahm er sich vor, als Gebieter Gerechtigkeit, aber auch die vollste sittliche Strenge walten zu lassen. Um seine Anschauungen von Recht und Sittlichkeit zum Ausdruck zu bringen, tat er ein Gelübde sonderbar und folgenschwer. Er gelobte, diejenige Bewohnerin des Schlosses, welche ihre Ehre verlieren würde - und

sollte es auch seine eigene Tochter sein - lebendig einmauern zu lassen. Noch sieht man in der geborstenen Mauer des Hassenstein eine Nische, welche der Ritter Emerich für diese furchtbare Bestimmung herstellen ließ, um seinem Gelöbnis den weiblichen Schlossbewohnern gegenüber den rechten Nachdruck zu geben.

So vergingen Jahre. Der Ritter jagte in den ungeheuren Wäldern den starken Eber oder den flüchtigen Edelhirsch, während seine Gemahlin die Erziehung ihrer Kinder, dreier Knaben, welche des Vaters Stolz und Freude waren, überwachte. Als die Söhne wehrhaft geworden waren, lernten sie auf den Nachbarburgen feine Sitte, und nachdem sie den Schwertschlag zu Gottes und Mariens Ehre erhalten hatten, dienten sie als Ritter an den Höfen im deutschen Reiche. Die Burgfrau hatte ihrem Gemahl später auch ein Töchterchen geschenkt, dessen Geburt der Mutter leider das Leben kostete. Auf ihrem Sterbelager hatte sie ihr Kind der Obhut des alten Schlosskaplans übergeben, welcher ihr versprach, dasselbe in Frömmigkeit zu erziehen und Vaterstelle an ihm zu vertreten. Denn der Ritter war zu häufig in Fehden verwickelt und oft lange von der Burg abwesend, als dass er sich der Erziehung seiner Tochter, welche bei der Taufe den Namen Guta empfing, mit rechter Aufmerksamkeit hätte widmen können.

Der Schlosskaplan, ein sanftmütiger Priester, verwendete nun seine ganze Sorgfalt auf die Erziehung der kleinen Guta, und besonders war es die wunderbare Welt der Märchen und der Kreis der Sagenlieder und Legenden, welche auf die empfängliche Schülerin den größten Eindruck ausübten. So wuchs das Mädchen zur blühenden Jungfrau heran und fast schien es, als ob dieselbe ihren sanften Lehrer mehr liebe, als den strengen Vater. Derselbe dachte endlich daran, wie er seine Tochter versorgen und sich damit zugleich eines Nachfolgers im Besitze der Burg versichern könne. Alle seine Söhne, seine natürlichen Stützen und Erben hatten ihn ja verlassen, sie weilten, Abenteuer suchend, in weiten, unbekannten Fernen und nie hatte er eine Nachricht von ihnen erhalten. Die Wahl eines passenden Eidams erschien ihm nicht leicht, doch hoffte er sie am besten am Hoflager zu Regensburg treffen zu können, wohin Kaiser Heinrich IV., seines kaiserlichen Gönners Sohn, die Fürsten, Ritter und Edlen entboten hatte, damit des Reiches Wohl und der Römerzug beraten werde. Ritter Emerich begab sich also nach Regensburg.

Während der Abwesenheit des Burgherrn beschloss der greise Kaplan, seiner Pflegetochter, welche bisher kaum über die Schwelle des äußern Burgtores hinausgekommen war, ein größeres Maß von Freiheit zu gewahren. Er führte sie daher hinaus in die Wälder und

auf die Fluren und besuchte mit ihr die Ansiedelungen im Burgbanne. Oft ruhten sie auf einer Waldwiese unter einer riesigen Eiche und lauschten am Morgen dem Gesange der Waldvöglein. Als sie einmal wieder so saßen, trat plötzlich aus dem dichten Gebüsch ein schöner ritterlicher Jüngling. Guta war anfangs recht erschrocken, doch konnte man dem Fremdlinge, welcher die edelsten Sitten zeigte, nicht gram sein. Es war ein fahrender Ritter aus dem Meißnerlande, welcher in der Gegend Gastfreundschaft gesucht und gefunden hatte und den der Zufall auf einer seiner Wanderungen dem Priester und Guta entgegenführte. Nach mehreren Tagen traf der Ritter mit ihnen an derselben Stelle wieder zusammen, und dann noch öfter und öfter. Der Priester war kein strenger Wächter, und so kam es, dass die Herzen der jungen Leute sich fanden und der Ritter die Jungfrau um Erlaubnis bat, ihr sein Leben weihen zu dürfen. Nach der Rückkehr ihres Vaters wollte er um ihre Hand anhalten, denn Guta war es unbekannt geblieben, aus welchem Grunde ihr Vater nach Regensburg abgereist war. Bald kam aber von dorther die Botschaft an den Kaplan, dass der Burgherr bald zurückkehren und den für seine Tochter erkorenen Bräutigam sogleich mitbringen werde. Als dies Guta hörte, stürzte sie fassungslos ihrem Erzieher zu Füßen und entdeckte ihm ihr Geheimnis. Dieser erschrak heftig, denn er kannte die unbeugsame Strenge Emerichs und dachte an das offene Grab in der Schlossmauer. Freilich fühlte er sich selbst auch nicht von Schuld frei, und nach reiflicher Überlegung glaubte er ein Mittel gefunden zu haben, um der ersten Heftigkeit des heimkehrenden Burgherrn zu begegnen. Zu Seelau im St. Magdalenenkloster, von dem heute kein Stein mehr auf dem andern ist, da hat Schön-Guta Aufnahme gefunden, und auch der meißnische Ritter ward in die Verbannung geschickt, er ging zu den Benediktinern nach Klösterle. So blieb nur der greise Priester zurück und derselbe wollte dem Ausbruche des Zornes standhalten.

Als der Schlossherr kam, gestand der Kaplan alles. In wildem Grimme vergriff sich der Ritter an ihm, würgte den schwachen Priester und stieß ihn über die steile Treppe hinab, so dass der Arme die Steinvliese drunten mit seinem Blute färbte und seine Seele aushauchte. Nun erst kam der Ritter zur Besinnung und dachte besonders an die Verfolgung, welche die mächtige Geistlichkeit gegen ihn einleiten würde, wenn sie Kenntnis von diesem Morde erhielte. Deshalb suchte er eilig die Spuren des Verbrechens zu beseitigen. Er erinnerte sich der Mauernische, die er einst für eine ehrenvergessene Schlossbewohnerin hatte herrichten lassen. Wie fürchterlich hatte nun das Geschick entschieden! Seine eigene Tochter war zum Opfer geworden, sie hätte er

nach jenem Gelübde lebendig hier begraben müssen. Da ließ Emerich den Leichnam des ermordeten Priesters an jener Stelle bergen. Doch damit konnte er die Erinnerung an das Geschehene nicht begraben, eine Stimme frug ihn fort und fort. Hast du auch recht getan? Sein Trotz wollte diese Frage wohl bejahen, doch er konnte damit die Stimme des Gewissens nicht betäuben, er ergab sich dem Trunke, um so Vergessenheit zu finden. Da geschah es eines Abends, dass er sich ruhelos umhertrieb, sein Schritt war unsicher, er wankte und stürzte über die jähen Stufen hinab, so dass seine Glieder an eben demselben Steine zerschellten, auf welchem der Schlosskaplan seine Seele ausgehaucht hatte. Die Knechte und Reisigen bereiteten dann das Begräbnis ihres toten Herrn, und außerhalb der Burg, mitten im grünen Hag, wo es am kühlsten war und die Vögel am schönsten sangen, dort wölbten sie den Hügel des Ritters, und dann zerstreuten sie sich, denn sie wollten nicht mehr bleiben an der Stätte mit dem fluchbeladenen Steine. Und sprachen sie in der Folge von der Burg, so versäumten sie nicht, den Ort des Übels zu kennzeichnen: „Hass dem Stein!“ Aus dieser Redensart aber entstand im Laufe der Zeit der Name „Hassenstein.“

Und die schöne Guta? Die Leute erzählten oft, dass im Kloster eine Nonne sei, die man immer weinen sehe, das Gesicht gegen die kalten Eisenstäbe des Fensters gedrückt. Und der Ritter aus den meißnischen Landen? Der blieb auch im Kloster, denn er hätte keine Freude mehr gefunden draußen ohne Guta. Aber die Söhne Ritter Emerichs? Die hatten das Kreuz genommen und waren mit Peter dem Einsiedler ins heilige Land gezogen und man hat nie mehr von ihnen gehört.

Das erledigte Hassenstein erwarben später die Herren von Schönburg, welche auch in der Nachbarschaft, bei Klösterle, eine Feste besaßen, deren Ruine von den Anwohnern heutzutage „Schömmerich“ genannt wird.



 
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