767. Die Brautgabe aus der Kirche zu den vierzehn Nothelfern bei Reichstädt. E-Mail

(Mitgeteilt durch Ludw. Lamer in der Monatsbeilage zur Weißeritz Zeitung 1886. No. 5 ec.)


Ganz in der Nähe des Dorfes Reichstädt, 1 1/2 Stunde von Dippoldiswalde gelegen, stand ehedem auf einer Anhöhe, die „Kahle Höhe“ genannt, ganz einsam und verlassen ein uraltes Kirchlein, den „vierzehn Nothelfern“ geweiht. Nach einer Urkunde vom Jahre 1320 war dasselbe eine überaus berühmte Wallfahrtskapelle, und zu ihr strömten jährlich viele Tausende, um ihre Anliegen und Gebete den vierzehn Nothelfern, nämlich Jesu, den zwölf Aposteln und dem heilgen Nikolaus vorzutragen. Durch die vielen, der Kirche gespendeten Geschenke wurde dieselbe sehr reich, als aber nach Beginn der Reformation die zahlreichen Wallfahrer ausblieben und im niedern Teile des Dorfes Reichstädt eine Kirche gebaut und daselbst der lutherische Gottesdienst

eingeführt worden war, verschwand plötzlich auch der letzte Messpriester der Kapelle und mit ihm das ganze aufgehäufte Vermögen derselben nebst den Heiligenbildern und Kirchengeräten. So verfiel nach und nach das Kirchlein und während des dreißigjährigen Krieges wurden auch Bänke, Betstühle und alles Holzwerk herausgerissen und verbrannt. In der Zeit nun, da das kleine Gotteshaus mit leerem Boden und leeren Wänden dastand, geschah folgendes: Bei dem reichen Bauer Wolf zu Oberreichstädt diente in den 1640er Jahren die Tochter einer armen Witwe aus Sadisdorf, namens Hanna. Durch ihren Fleiß, ihre Treue und Bescheidenheit machte sich dieselbe bei ihrer Herrschaft bald beliebt, noch mehr aber gefiel Hanna dem einzigen Sohne ihres Dienstherrn, einem mit ihr gleichaltrigen, blühenden Burschen mit Namen Christian. Allgemach zog die Liebe zu dem Mädchen in sein Herz, doch verriet er davon nichts, denn sein Vater war starrsinnig und unbeugsam und dabei dem Gelde so wohlgeneigt, dass er nie die Verbindung seines einzigen Sohnes mit einem armen Mädchen zugegeben hätte. Das wusste der Sohn aus manchen Äußerungen des Vaters. Ja eines Tages sagte ihm derselbe, dass er für ihn die Tochter eines reichen Bauern zur Frau bestimmt habe, die ihm sogleich 2000 Taler als Heiratsgut mitbringen werde. Doch Christian weigerte sich, dieses Mädchen heimzuführen, da dasselbe träge, zänkisch und roh sei. Erzürnt drohte ihm darauf der Vater, dass er nie seine Einwilligung zu einer andern Verbindung geben werde, es sei denn, dass ihm die Braut ebenfalls 2000 Taler Mitgift zuführe. Da Hanna diese Worte ebenfalls, von beiden unbemerkt, gehört hatte, war ihr Herz traurig, denn auch sie liebte Christian heimlich von ganzem Herzen. Sie nahm sich also bald vor, das Haus, in welchem sie so glücklich gewesen war, zu verlassen. Aber als Christian ihren Kummer sah und in sie drang, ihm zu sagen, was ihr fehle, weinte sie heftig und beide gestanden sich ihre gegenseitige Liebe. Da sagte Christian, dass er sich vor der Drohung seines Vaters nicht fürchte und er bat Hanna, noch zu bleiben, da ja Gott alles noch zum Besten lenken werde.

Bald darauf wurde der Vater Wolf bedenklich krank und auf seinem Lager ließ er sein Testament mit der ausdrücklichen Bestimmung anfertigen, dass sein Sohn Christian nach seinem Ableben nur dann als Erbe der Besitzung zu betrachten sei, wenn derselbe eine Frau mit 2000 Talern Mitgift eheliche, sei dies jedoch in vier Jahren nach des Testators Ableben nicht erfolgt, so trete der älteste Sohn seines Bruders als rechtmäßiger Erbe ein. Der Vater hatte also sein früher ausgesprochenes Wort nicht vergessen.

Hannas Mutter zu Sadisdorf war während der Zeit ebenfalls

erkrankt. An einem rauen Sonntage des Herbstes 1644 ging daher Hanna nach Hause, um nach ihrer Mutter zu sehen. Die Stunden vergingen schnell, und als es Mitternacht schlug, machte sie sich wieder auf den Rückweg. Sie musste dabei an der Kirche zu den vierzehn Nothelfern vorüber. Da vernahmen ihre Ohren plötzlich schwere Tritte hinter sich, und als sie sich umblickte, gewahrte sie zwei schwedische Soldaten, welche ihr eilig folgten. Sie lief so schnell, als sie nur konnte, und als sie an dem Kirchlein anlangte, waren die Verfolger dicht hinter ihr. In ihrer Todesangst riss sie an der Türe des Kirchleins und dieselbe gab glücklich nach, da sie wunderbarer Weise nicht verschlossen war. Schnell schlüpfte sie hinein und schlug mit kräftigem Stoße die Türe wieder ins Schloss zurück. Es war die höchste Zeit gewesen. Draußen tobten die Soldaten und versuchten die Türe zu sprengen, Hanna aber sah sich vergeblich in der leeren Kirche um, um irgend ein Versteck zu finden. Nur hinter dem Gemäuer, wo sonst der Altar gestanden hatte, bemerkte sie ein geräumiges Loch, das sie zwar nicht völlig, aber doch teilweise aufnehmen konnte. Emsig arbeitete sie, durch Auswerfen des Schuttes das Versteck zu erweitern. Hierbei wurden ihre Gedanken plötzlich auf einen ganz besonderen Gegenstand gerichtet, und sie vergaß wenigstens auf Augenblicke die Gefahr, in der sie sich befand. Zwischen ihren Fingern fühlte sie nämlich unerwartet ein Geldstück von der Größe eines Dukatens, ob es wirklich ein solcher sei, konnte sie freilich wegen der Finsternis, die sie umgab, nicht bestimmen, doch unterschied sie mit den Fingern recht deutlich ein Gepräge. Mit Eifer suchte sie nun weiter und fand dann nach und nach eine solche Menge, dass sie das Gewicht derselben in ihrer Schürze fühlte. Waren es wirklich Dukaten, so hatte ihr Gott geholfen und sie war ihres Kummers und ihrer Sorgen enthoben. Draußen vor der Kirche war es unterdes auch still geworden, und nachdem Hanna noch lange gelauscht und annehmen konnte, dass sich ihre Verfolger wieder entfernt hatten, versuchte sie die Türe zu öffnen. Mit der größten Anstrengung gelang ihr dies endlich und sie trat hinaus. Die Soldaten waren nirgends mehr zu sehen, und glücklich gelangte das Mädchen in das Haus ihres Dienstherrn, wo sie sich erschöpft niederlegte. Am Morgen, sobald es dämmerte, sah sie sich die Geldstücke an, und richtig, es waren lauter Dukaten, deren sie zusammen 820 Stück zählte. Da sie dieselben also bald dem aus seiner Kammer tretenden Christian zeigte und ihm erzählte, wie sie zu diesem Schatze gekommen sei, der ja mehr betrug, als 2000 Taler, staunte derselbe zunächst, dann aber brach er in laute Freudenrufe aus. Jetzt war das Hindernis, welches ihrer Vereinigung entgegenstand, plötzlich und auf so wunderbare Weise gehoben. In ihren besten Gewändern

betraten beide bald darauf das Gemach des Vaters Wolf, der noch an das Bett gefesselt war. Hier bat Christian um seinen Segen zur ehelichen Verbindung mit Hanna, die nun mehr als 2000 Taler Mitgift besäße. Dabei legte das Mädchen die Dukaten in einem Tuche auf das Bett. Erst wusste der Vater nicht, was er dazu sagen sollte, als aber Hanna den nötigen Aufschluss gegeben hatte, ging eine merkliche Veränderung in seinem Innern vor. Nach langem Sinnen erfasste er endlich die Hände des jungen Paares, segnete es und sagte:

„Ich war hart gegen euch, aber Gott wusste ein Mittel, durch welches meine Härte und mein Starrsinn gebrochen worden ist.“ Auch die Mutter trat nun tief bewegt hinzu und segnete das Paar, sie hatte ja oft gewünscht, dass Hanna ihre Schwiegertochter werden möchte. Der Sohn übernahm das Gut des Vaters und bald wurde eine fröhliche Hochzeit gefeiert. Damit zog wieder Friede und Glück in der Familie ein. Noch heute soll das Wolfsche Geschlecht in mehreren Zweigen in Reichstädt fortleben.



 
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